Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
halten.«
»Hauptsache, dir gefällt es. Du brennst darauf, mich zu zeichnen. Mach es doch. Mal sehen, ob du dich traust.«
Aber sie sah ihm nur zu, wie er schwamm, und ihre Finger krallten sich in den Stoff ihres Rockes. Wie gerne würde sie zu ihm ins Wasser gehen! Ihr Kleid klebte vor Schweiß an ihr, während er sich bestimmt feucht und kühl anfühlte.
Wie gerne würde sie ihn berühren.
Sie wusste, dass es besser wäre zu gehen, und trotzdem tat sie es nicht. Sie erschrak ein wenig vor diesem für sie neuen Wagemut und fühlte sich gleichzeitig erleichtert und freier als zuvor. Irgendwie schien bei ihr verspätet etwas von der familiären Neigung zum Leichtsinn durchzuschlagen. Schlimme Sachen waren da passiert – selbst das störte Susanna nicht.
Schließlich watete er ans Ufer zurück, und sie sah, wie das Wasser an seinem Körper hinunterrann. Als er wieder im Gras stand, hob er das Gesicht der Sonne entgegen und schloss die Augen. Er wirkte wie eine antike Gestalt, wie ein Gott sogar, denn die Sonnenstrahlen funkelten auf seiner feuchten Haut.
Susanna setzte sich erneut auf ihren Baumstamm und griff nach ihrem Malblock, Leo neben sich im Gras mit hinter dem Kopf verschränkten Armen und geschlossenen Augen. Sie sagte kein Wort, senkte nur den Kopf und brachte mit schnellen Strichen eine Skizze aufs Papier. Sie wollte ihn in genau dieser Haltung einfangen.
Hinterher wusste sie nicht mehr, wie lange sie gearbeitet hatte, denn Zeit spielte keine Rolle. Ein Schweißtropfen lief zwischen ihre Brüste, eine Fliege summte an ihrem Ohr, doch nichts vermochte sie abzulenken. Sie war wie besessen davon, die Lebendigkeit, die sich hinter der trägen Pose verbarg, festzuhalten. Auch wenn die Szene Ruhe ausstrahlte, sollte der Betrachter das Gefühl bekommen, der Schläfer könnte jeden Moment voller Energie aufspringen. Jedes Detail schien ihr wichtig, nur sein Gesicht blieb erneut ohne Konturen.
»Ich wette, Tyler wäre nicht so leicht zu zeichnen«, meinte Leo.
Wie aus weiter Ferne drang seine Stimme an ihr Ohr. Sie sah ihn verwirrt an. »Mr Tyler?«
Er lachte und stützte sich auf einen Ellbogen auf. Wie hatte sie je denken können, Muskeln seien eben Muskeln – und anatomische Präparate genauso aufschlussreich wie das pralle Leben.
»Ja, Mr Tyler«, wiederholte er, und seine Stimme war vor Erheiterung und Zufriedenheit ganz weich. »Hast du ihn bereits vergessen?«
»Natürlich nicht. Allem, was ich male, wohnt eine gewisse Schwierigkeit inne. Manchmal geht es nur darum, das Licht richtig einzufangen. Ein anderes Mal ist es ein bestimmter Gesichtsausdruck. Wenn Malen leicht wäre, würde jeder es können.«
»Also würdest du Tyler zeichnen.«
»Wenn er es wollte, selbstverständlich.«
»Dann planst du also mehr Zeit mit ihm zu verbringen.«
Sie stützte den Ellbogen auf dem Knie ab und legte das Kinn in die Hand. »Ja. Wir haben so viele Gemeinsamkeiten. Sein Temperament passt zu meinem. Wir haben teils eigene Interessen, denen wir nachgehen, teils gemeinsame. Es wäre einfach ein perfektes Arrangement.«
»Meinst du. Nach nur ein paar Stunden Unterhaltung bist du dir sicher, dass er der Richtige ist?«
»Nun ja, so einfach ist es natürlich nicht. Seine Einstellungen spielen ebenfalls eine Rolle, aber …«
»Und nicht zu vergessen seine gesellschaftliche Stellung, seine Fähigkeit, dich zu unterhalten?«
Sie sah ihn verwirrt an. »Mir ist nichts Negatives zu Ohren gekommen. Und der Marquess hat ihn immerhin eingeladen. Da ist man sich hinsichtlich seines Charakters doch bestimmt sicher. Und man kann sich sehr angenehm mit ihm unterhalten, sobald er seine anfängliche Schüchternheit überwunden hat.«
Leo stieß ein leises Lachen aus, und sie sah, wie sein Bauch dabei leicht vibrierte. »Genauso geht es mir mit Miss Randolph.«
Susanna spürte, wie sich in ihrem Innern etwas verkrampfte. »Wie bitte? Das Mädchen, das du angeblich nicht von dir aus geküsst hast?«
»Das stimmt. Ich habe nicht mit dem Kuss angefangen. Aber ich mag ihre Gesellschaft.«
»Sie spricht immer mit dieser … atemlosen Stimme. Das stört dich doch bestimmt, oder?«
»Überhaupt nicht. In meinen Ohren klingt das schmeichelhaft – es ist, als würde ich sie nervös machen. Offenbar hat sie ihre Schüchternheit noch nicht überwunden.«
»Schüchternheit?«, wiederholte sie ungläubig. »Wir sprechen von der jungen Dame, die dich womöglich in eine Falle locken wollte?«
»Ich weiß, aber ihr Eifer
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