Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
Tischgespräch. Ich hoffe, dass der Wettkampf, den ich für später geplant habe, mit der gleichen Lebhaftigkeit ausgetragen wird.«
Susanna funkelte Leo immer noch an, und plötzlich bemerkte sie, dass sie langsam, aber sicher ins Zentrum der Aufmerksamkeit geriet. Sie sah es an den Blicken der anderen. Es schien, als habe sie eine unsichtbare Grenze überschritten und damit für Gesprächsstoff gesorgt. Sie hasste es, wenn über sie geredet wurde, war sich allerdings keines unschicklichen Verhaltens bewusst.
»Lady Caroline, spannen Sie uns nicht auf die Folter«, meinte Lord Keane mit schleppender Stimme, während er gleichzeitig Leo und Susanna musterte. »Was kann schon unterhaltender sein als das hier?«
Ein Frösteln lief durch Susannas Körper. Es war nicht ihre Absicht gewesen, Leute wie Keane zu unterhalten. Wo und wann hatte sie einen Fehler begangen? Leo musterte sie nach wie vor, allerdings ohne sein übliches provozierendes Grinsen. Sie war verwirrt.
»Wir veranstalten einen Wettkampf im Bogenschießen«, rief Caroline in die Stille. »Während des Essens werden Zielscheiben im Park aufgebaut. Ich denke, das wird lustig«, fügte sie verschmitzt hinzu.
Überrascht stellte Susanna fest, dass Tyler keine Einwände erhob. Im Gegenteil. »Ich mag Bogenschießen«, erklärte er lächelnd und zeigte dabei seinen schiefen Zahn.
Er war so ein netter Mann. Warum sollte er Bogenschießen nicht mögen? Schließlich lebte er auf dem Land und war auch ein guter Reiter.
»Und ich mag einen guten Wettkampf«, stellte Leo fest und sprang auf, denn in diesem Moment hob Lady Bramfield die Tafel auf.
Am Nachmittag brannte die Sonne von einem dunstigen Himmel herab, und es war so schwül, dass Leo in der ungewöhnlichen frühsommerlichen Hitze das Gefühl bekam, nicht tief genug Luft holen zu können. Sogar das Gras wirkte welk, und die Bäume ließen die Zweige hängen, als hätten sie nicht mehr die Kraft, die Last zu tragen. Ähnlich fühlte er sich, was seine Jacke betraf. Und obwohl er wusste, dass man das eigentlich nicht tat, zog er sie aus. Normalerweise gefielen ihm solch kleine Provokationen, doch heute war er irgendwie nicht ganz bei der Sache.
Er mochte es, wie Susanna ihn verbal herausforderte, wie sie ihm vor allen anderen Gästen die Meinung sagte. Es gab nicht viele, die den Mut besaßen, die Missbilligung der Gesellschaft auf sich zu ziehen. In dieser Hinsicht waren sie einander gar nicht unähnlich. Wirklich bewundernswert, wie sie alles einsteckte, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber irgendeine Bemerkung von ihr hatte ihm einen Stich versetzt. Woher wusste sie, dass er sich in letzter Zeit ständig langweilte?
Vielleicht war sie ja im Recht, dass man für eine ausgeglichene Persönlichkeit eine intellektuelle Herausforderung brauchte. Die Orte, an denen er sich herumzutreiben pflegte, verloren jedenfalls mehr und mehr ihren Reiz für ihn. Der Club war voll mit Gentlemen, die zu viel tranken und bis zum Exzess um Geld spielten. Er konnte sie teilweise nicht mehr sehen – die immer gleichen Männer mit den roten Nasen, den geplatzten Äderchen im Gesicht und den Bäuchen, die mit den Jahren immer größer geworden waren. Auch Boxkämpfen konnte er seit Neuestem nichts mehr abgewinnen, desgleichen nicht Kutschenrennen im Hyde Park. Wem wollte er mit solchen Wettkämpfen etwas beweisen? Und das gesellschaftliche Leben? Die Debütantinnen wurden von Jahr zu Jahr jünger und dümmer und uninteressanter. Dabei gab es eine Zeit, wo ihm jung und dumm gefiel.
Leo kam sich irgendwie orientierungs- und heimatlos vor. Wenn er gelegentlich seine Familie auf dem Land besuchte, fühlte er sich dort genauso fehl am Platze wie anderswo. Manchmal ging er mit seinem Bruder zum Rudern, doch dann zog Simon sich an seinen Schreibtisch zurück, um Verwaltungsangelegenheiten zu erledigen, und Leo fühlte sich nutzlos, streifte bloß ruhelos herum. Alle schienen eine Aufgabe zu haben außer ihm.
Er ertappte sich dabei, dass er Tyler beobachtete, der gerade seinen Bogen überprüfte und mehrere Pfeile an sich nahm. Susanna in der Nähe hielt schützend einen Sonnenschirm über ihren Kopf. Als Tyler zu ihr hinschaute, stellten sich bei Leo die Nackenhaare auf. Susanna wirkte ruhig und gelassen, fast schon hoheitsvoll. Doch der dünne Schweißfilm, der auf dem schmalen Streifen nackter Haut an ihrem Hals zu erkennen war, ließ ihn an wilden Sex denken, bei dem ihr Körper von ihrem herrlichen Haar wie von einer Gloriole
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