Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
ausdrucksloser Miene zu ihm um. Ehe er etwas sagen konnte, betrat ein junges Dienstmädchen mit schwarzen Locken unter einer Spitzenhaube mit einem Tablett das Zimmer. Munter stellte sie eine Vase mit Blumen auf den Tisch, dann folgten Suppe, eine Fleischpastete, eine Weinflasche und zwei Gläser.
»Wenn Sie nicht gestört werden möchten, Mr Wade«, sagte sie zu Leo, »stellen Sie das Tablett einfach vor die Tür. Mrs Wade, haben Sie ein Kleid für mich, dass bis morgen früh geplättet werden soll?«
»Ja, gerne, danke«, sagte Susanna.
Leo legte noch ein paar Kleidungsstücke von sich dazu, reichte dem Dienstmädchen eine Münze, was ihm ein erfreutes Lächeln einbrachte, und dann schloss sich die Tür hinter ihr.
Leo sah Susanna an. Die Luft zwischen ihnen schien förmlich zu knistern.
»Ich habe keinen Hunger«, sagte sie, drehte sich um und trat ans Fenster.
»Ich bin am Verhungern.« Er setzte sich an den Tisch, füllte sein Glas mit Wein und nahm mit einem zufriedenen Seufzer einen großen Schluck. Die Hammelfleischpastete erwies sich als vorzüglich, insbesondere im Vergleich mit dem, was ihnen in den jämmerlichen Wirtshäusern unterwegs vorgesetzt worden war. Seit viele Leute mit der Bahn reisten, ging es mit den Poststationen an den Landstraßen zusehends abwärts.
Gelegentlich sah er zu Susanna hin, die weiterhin am Fenster stand, die Arme um ihren Oberkörper geschlungen. Hatte sie etwa Angst? Sie konnte doch nicht ernstlich glauben, er würde sie heute Abend zu irgendetwas zwingen. Schließlich wusste er, dass er erst wieder ihr Vertrauen gewinnen musste.
Auch als es erneut an der Tür klopfte, reagierte sie nicht, sondern starrte weiter aus dem Fenster. Eine ganze Schar von Dienstboten kam geschäftig ins Zimmer – die einen schleppten eine Badewanne, andere brachten heißes Wasser, Handtücher und Seife.
Als sie wieder draußen waren, wandte sie sich zu ihm um. »Es gibt keinen Wandschirm. Ich werde nicht baden.«
»Wie du willst.«
Ihr Stirnrunzeln verstärkte sich. »Willst du etwa hier vor meinen Augen ein Bad nehmen?«
»Du bist meine Frau.«
Sie zuckte zusammen.
»Ich habe nichts dagegen, wenn du mich nackt siehst. Vielleicht willst du mich dann ja sogar zeichnen«, fügte er leicht sarkastisch hinzu.
Sie erwiderte nichts, sondern drehte sich einfach erneut zum Fenster. Ihr Kleid war mit Staub bedeckt, der Saum voller Dreckspritzer – und trotzdem wollte sie nicht baden. Als er sich auszuziehen begann, gab er sich Fantasien hin, wie er sie in die Wanne eintauchen und waschen würde.
Kapitel 12
Susanna schaute weiter aus dem Fenster. Obwohl es erst früher Abend und die Sommersonne noch nicht untergegangen war, nahm sie nichts wahr von dem, was draußen vor sich ging. Sie hatte das Gefühl, immer noch unten im Salon zu stehen und mit ihrer Unterschrift ihr Leben an einen Mann zu binden, den sie nicht liebte.
Sie war verheiratet, hieß jetzt Mrs Leo Wade. Allein bei der Nennung des Namens würde man ihr Neugier oder Mitleid entgegenbringen. Sie wusste nicht, was sie schlimmer fand. Am meisten bedrückte sie der Gedanke an ihre Familie. Sie würden so schrecklich enttäuscht sein, alle miteinander. Ihre Eltern hatten immer gewollt, dass sie glücklich würde, und nicht einmal das konnte sie ihnen bieten. Ihre Zukunft für einen Augenblick der Lust zu verschleudern – wie konnte sie nur? Sie war von sich selbst fast so enttäuscht wie von Leo.
Ihr Ehemann. Soeben entledigte er sich hinter ihr sämtlicher Kleidungsstücke, um ein Bad zu nehmen. Hoffte er etwa, der Anblick seines Körpers würde ihre Meinung ändern, sie ihm gefügig machen?
Warum sollte er eigentlich nicht so denken, fragte sie sich. Schließlich hatte sie jedes Mal prompt auf den Reiz seines Körpers, seiner Berührungen reagiert. Eine Weile hatte sie sich eingeredet, sie betrachte ihn bloß mit dem Auge der Künstlerin. Eine fromme Lüge, wie sie inzwischen erkannte. Pure Leidenschaft war es, die sie zu ihm hinzog. Doch das musste vorbei sein. Ein für alle Mal.
Hinter sich hörte sie ihn im Wasser plätschern, und sie konnte sich das Bild vorstellen, wie er da in der Wanne saß. Fast zumindest, denn ganz nackt hatte sie ihn schließlich bislang nicht gesehen. Mühsam unterdrückte sie ein Stöhnen und rief sich zur Ordnung. Sie würde in den nächsten Tagen, wenn sie Richtung London reisten, noch öfter in eine solche Situation kommen.
Und später dann? Vermutlich würde sie ihre Tage und Abende einsam
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