Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
ein Streifen Licht herein. Erst als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte sie die Schatten unterscheiden. Sie war nicht alleine, ihr gegenüber saß ein Mann.
»Hallo, Susanna.«
Leo Wade. Bevor sie irgendetwas unternehmen konnte, wurde von außen die Tür geschlossen. Vergeblich rüttelte sie an dem Türgriff.
»Zu spät«, sagte Leo. »Ich dachte mir, dass du einen verrückten Plan ausheckst, und habe Vorkehrungen getroffen. Lord Bramfield weiß Bescheid. Er findet dein Verhalten ausgesprochen töricht.«
Sie funkelte ihn wütend an. »Wer hat das Recht, mich zu einer Ehe mit dir zu zwingen, Leo Wade?« Die Kutsche fuhr mit einem Ruck an, und sie fiel auf die Bank zurück. »Du musst immer erst noch eine Sondererlaubnis erwirken. Es werden sich in London viele Gelegenheiten ergeben zu fliehen.«
»Wir fahren nicht nach London«, sagte er.
Sie wartete auf ein triumphierendes oder selbstzufriedenes Lächeln, doch es kam nicht. Er wirkte ungewohnt ernst, und die Augenbrauen waren finster zusammengezogen. Sie ließ die Rollos an beiden Fenstern hochschnappen, um ihn besser sehen zu können. Dieser neue Leo jagte ihr Furcht ein.
»Ich habe dem Kutscher gesagt …«, fing sie an, ohne den Satz zu Ende zu bringen.
Er zog eine Augenbraue hoch. »Lord Bramfield und ich haben dem Kutscher bereits Anweisungen erteilt. Ich werde dich dem Gerede der Londoner Gesellschaft nicht ohne Ehering aussetzen. Wir fahren direkt nach Gretna Green.«
Auch das noch. Aber die Flucht ins schottische Heiratsparadies, wo man keinerlei Genehmigungen brauchte, würde das Märchen von einer leidenschaftlichen Affäre stützen. Ein schlauer Plan, musste sie zugeben.
»Ich werde Mr Bradley bitten anzuhalten. Er wird auf mein Klopfen reagieren.« Und wenn sie über Leos Schoß krabbeln musste, um sich bemerkbar zu machen.
»Versuch es ruhig. Halt uns nur unnötig auf – der Kutscher hat seine Anweisungen. Wir sind ein romantisches Liebespaar, Susanna«, erklärte er und machte sich nicht einmal die Mühe, seinen Sarkasmus zu verbergen. »Wir laufen weg, um zu heiraten. Niemand kann uns aufhalten, zumal wir beide alt genug sind. Oder sollte ich sagen reif genug?«
Sie reagierte nicht auf seine Stichelei, sondern ließ sich langsam wieder nach hinten sinken. »Ich werde das Ehegelübde nicht ablegen.«
»Dann wärst du eine Närrin. Mittlerweile wissen bestimmt alle Gäste, dass wir durchgebrannt sind.«
Sie zuckte zusammen, sah ihn aus schmalen Augen an und meinte mit leiser Stimme: »Du nimmst dir ganz schön viel heraus.«
»Das muss ich, weil du so uneinsichtig bist. Leider.« Obwohl er scheinbar lässig in den Polstern lehnte, war auch ihm die Anspannung deutlich anzumerken. »Bis zum Abend wird derjenige, der uns beobachtet hat, die Geschichte breitgetreten haben. Aber das ist weniger schlimm, wenn eine Heirat folgt. Zumindest mildert es das Gerede, und nach einer Weile interessiert sich niemand mehr dafür. Das weißt du doch selbst.«
»Wenn sie nun genau gesehen haben, was du mit mir gemacht hast …«
»Keine Sorge, das Sofa hat den Blick auf uns teilweise versperrt. Und überdies geht es nicht nur um das, was ich gemacht habe, sondern ebenso darum, wie du darauf reagiert hast. Das sollten wir nicht vergessen.«
Sie errötete. Der gestrige Abend schien plötzlich so fern und fremd. Und das war er auch: ein Ausrutscher in einem ansonsten durch und durch vernünftigen Leben.
»Die Gäste werden bestimmt heute alle abreisen«, fuhr Leo mit fester Stimme fort. »Alle wollen schnell nach London und die Ersten sein, die herumerzählen, was sich zugetragen hat auf Bramfield Hall. Am liebsten würden sie es unseren Familien brühwarm berichten.«
»Deine wird vielleicht erleichtert sein und das schwarze Schaf endgültig verstoßen. Zumal sie dich jetzt nicht mehr finanziell unterstützen müssen, weil du auf meine Mitgift zählen kannst. Darum ging es doch, nicht wahr, Mr Wade? Ich war so dumm, das nicht zu erkennen. Die Wette, das Gemälde … Das alles war nichts als ein Vorwand. Warum sonst hättest du dir die Mühe gegeben, eine langweilige alte Jungfer wie mich zu verführen?«
Leo unterdrückte nur mühsam einen Wutanfall – einen richtig ausgewachsenen, ausfallenden und unbeherrschten. Er hatte selten andere Gefühle gezeigt als Freude, Glück und Belustigung, doch Susanna schaffte es, ihn völlig aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Er verspürte eine lähmende Starre in seinem Innern, doch dahinter
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