Ein Spiel, das die Götter sich leisten
ihr schien fest zu sein. Sie zogen sich einfach ihre Kleider über den Kopf, zum Vorschein kam Unterwäsche. Die Große trug einen weißen BH und einen blau glänzenden Slip, die andere ein ein faches baumwollenes Set. Ich sah noch etwas länger hin.
Oriana las in einem Buch, Der Geschichtenerzähler, das fand ich einen guten Titel, einer, der mir Lust machte, es auch zu lesen. Ich hatte sehr viel Zeit mit Büchern verbracht, nachdem meine Eltern, Tante Özlem und Ebru den Unfall gehabt hatten. Ich war völlig versunken zwischen den Seiten, es war wie ein Meer ohne Zukunft und ohne Vergangenheit, ein Meer aus dem ich nie mehr auftauchen wollte, nachdem so viele Menschen auf einmal aus meinem Leben verschwunden waren. Irgendwann hatten Hanf und Yoga die Seiten wieder abgelöst.
Ich fragte mich jetzt ernsthaft, wie ich es anstellen sollte, Oktay zu suchen, den einzigen, der übriggeblieben war. Natürlich konnte ich noch zwanzig Lokale abklappern, aber das schien mir nicht der richtige Weg zu sein. Wir würden sehen, was der Tag noch brachte.
Ich versuchte mir auszumalen, was für ein Mann Orianas Verlobter wohl war. Etwas nachlässig gekleidet stellte ich ihn mir vor, in weiten Hosen und mit strähnigen langen Haaren, ein wenig vergeßlich vielleicht. Auf den ersten Eindruck ein sanfter Mann, der viel Verständnis für die menschlichen Verhaltensweisen hatte und Oriana Sicherheit bieten konnte. Jemand, der sich erst spät als eifersüchtig herausgestellt hatte, als machthungrig. Die Frage nach dem Höschen war auch noch offen.
Als Oriana ihr Buch kurz zur Seite legte, fragte ich sie:
– Was war dein Mario für ein Mensch?
Sie überlegte einen Augenblick.
– Er war möglicherweise verzweifelt oder vielleicht auch nur auf eine Art eitel, die nicht gleich deutlich wird. Er wollte immer so viel wissen. Was ist Religion, warum brauchen die Menschen das, worin sind wir alle gleich, woran können wir uns festhalten. Er hat sich viel mit Mystik beschäftigt, mit Schamanen, Asketen, Yogis, Sufis, aber er war zu sehr auf Gewinn aus, auf Erleuchtung, er strebte so. Er war fleißig, nicht wie du, aber er war so stolz auf sein Wissen und hat gleichzeitig vorgegeben, es nicht zu sein, weil er ja wußte, daß es nicht zählt, wenn du nach Erleuchtung suchst. Er hat sich mit Tantra beschäftigt, er wollte lernen, wie man einen Orgasmus ohne Ejakulation bekommt. Wenn es menschenmöglich ist, werde ich es lernen, hat er gesagt, aber er hat es so mechanisch versucht. Er wollte mehr und mehr Kontrolle, er wollte das Leben im Griff haben.
Aber ich mochte diesen Fleiß, dieses Zielgerichtete. Wenn ihn etwas interessiert hat, hat er alles darüber in Erfahrung gebracht. Ich habe viel von ihm gelernt. Er war immer so souverän, er wirkte wie jemand, der weiß, was er will. Und, und er hatte so schöne herausstehende Knochen hier an der Schulter, wie zwei Haselnüsse.
– Und der Sex?
– Er konnte mir das Gefühl geben, daß ich sehr wichtig für ihn bin, daß er mich begehrt, daß ich sexy bin, er konnte mich überraschen und manchmal auch überwältigen. Wir haben zwar viel ausprobiert, aber es gab Grenzen, er hat selten ganz losgelassen. Manchmal hatte ich das Gefühl, daß er schon wußte, in welcher Stellung er seinen Höhepunkt haben will, bevor wir überhaupt angefangen haben.
Da war dieser Drang zu bohren, nachzuhaken, wie, Orgasmus ohne Ejakulation – hatte er es geschafft? War er für sie ein besserer Liebhaber gewesen als ich? Zum ersten Mal seit wir zusammen unterwegs waren, hatte ich Lust auf einen Joint.
– Mesut, sagte sie fragend, und ich sah sie an. Zwei oder drei Sekunden fühlte ich mich wie auf dem Flughafen, als sich unsere Blicke getroffen hatten, der Lärm verschwand. Die Hitze, die Welt, die Zeit.
Sie legte mir Daumen und Zeigefinger neben meine Mundwinkel und sagte:
– Da hat sich, glaube ich, gerade ein Lächeln versteckt. Ach, da kommt es schon hervor. Ich habs doch geahnt.
Als sie wieder etwas sagte, war bestimmt eine halbe Stunde vergangen.
– Kam eine schlechte Phase für dich oder hattest du schon früh Sex?
Ich zögerte, dachte über die Frage nach, sie hatte natürlich recht.
– So mit fünfzehn, sechzehn bekam das Wichsen etwas Verzweifeltes, es war keine Art mehr, mir Vergnügen zu verschaffen, sondern ein armseliger Ersatz. Onanie und Wirklichkeit. Ich phantasierte über ältere Frauen, die mich in die Liebe einführten. Ich zog in meinen Träumen die Mädchen aus meiner Klasse
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