Ein Spiel um Macht und Liebe
schubse, rollst du dich hinter eine Mauer und rennst dann so schnell du kannst davon.«
Seine Gedanken hatten sich also in derselben Richtung bewegt. Dadurch, daß er sie küssen wollte, hatte er sich Wilkins genähert, und ihre Intimität mochte ihnen durchaus die Ablenkung verschaffen, die sie brauchten konnten. Da sie wußte, daß eine falsche Bewegung ihrerseits seine Pläne zunichte machen konnte, nickte sie nur gehorsam, obwohl sie wußte, daß sie bestimmt nicht davonlaufen würde. Laut sagte sie: »Ich liebe dich, Nicholas. Und wenn du nicht in den Himmel kommst, dann folge ich dir, wo immer du hingehen mußt.« Ihre Stimme bebte plötzlich.
»Mögest du Kerzen für mich entzünden, wenn ich dies nicht tue.«
Sie sah unerträgliche Qual in seinem Gesicht und wußte, daß ihres dasselbe widerspiegelte. Was immer er im Sinn hatte, die Chancen standen nicht allzu gut, und vielleicht war dies wirklich ihr letzter Kuß.
Dann küßten sie sich, und es war wie ein Sturm –
ein ganzes Leben voller Gefühle quoll zwischen ihnen auf. Es war doch einfach nicht möglich, daß sie in einer Minute vielleicht tot sein würde, erschossen und kalt und blutend. Und Nicholas…
Ihre Fingernägel gruben sich in seine Arme. Sie zwang sich mühsam, ihren Griff zu lockern, so daß sie ihn nicht behindern würde, wenn er sie gleich von sich stoßen würde.
Trotz ihrer verzweifelten Sehnsucht spürte sie das lebhafte Interesse der beiden Verbrecher, deren Blicke auf sie und Nicholas fixiert waren. Dieses Nachlassen ihrer Aufmerksamkeit war die Chance, auf die Michael gewartet hatte. Er sprang plötzlich zur Seite, aus der Schußrichtung von Madocs Gewehr.
Im gleichen Augenblick schubste Nicholas Clare heftig und schrie: »Jetzt!« Sie fiel zu Boden, während Nicholas sich schon auf Wilkins stürzte.
Der Überraschungsmoment war auf ihrer Seite, und der Mann verlor einige wertvolle Sekunden, als er versuchte, sein Opfer wieder anzuvisieren.
Doch bevor es ihm gelang, tauchte Nicholas’
Peitsche wie durch Zauberei in seiner Hand auf und zuckte vor.
Das Ende der Schnur wickelte sich um Wilkins’
Gewehr, und Nicholas zog an der Peitsche. Wilkins riß heftig an seiner Waffe, um sie wieder freizubekommen.
Jetzt sah Clare, daß Michael nicht unbewaffnet war. Er hatte seine Pistole gezogen, die er nun auf Madoc richtete, der gleichzeitig mit seinem Gewehr auf ihn zielte. Zwei Schüsse krachten und zerrissen die Stille des Waldes.
Madocs Gebrüll mündete in einem blutigen Gurgeln, als die Kugel seinen Hals durchschlug.
Michael ging zu Boden und rollte sich über das Gras. Zwar konnte Clare keine Verletzung sehen, aber es war zu befürchten, daß auch er verwundet war. Vielleicht tödlich.
Es blieb jedoch keine Zeit, sich um ihn zu kümmern, denn Nicholas und Wilkins befanden sich in einem Tauziehen auf Leben und Tod. An der einen Seite der Peitsche zerrte Nicholas an dem Griff, während Wilkins sich mit wilder Entschlossenheit an seiner Waffe festklammerte.
Clare kam stolpernd auf die Füße und schoß auf die beiden Männer zu.
Der Gewehrlauf war zu glatt, als daß das Leder der Peitschenschnur sich wirklich festzurren konnte, und so löste es sich plötzlich. Nicholas verlor das Gleichgewicht, taumelte und fiel auf ein Knie. Wilkins trat zurück, bis er aus der Reichweite der Peitsche heraus war, und legte sein Gewehr an. Nicholas versuchte
auszuweichen, aber seine unglückliche Position machte es ihm unmöglich, sich schnell genug zu bewegen, um Wilkins’ Kugel zu entgehen.
Die Panik schien Clares Geschwindigkeit zu verdoppeln. Ihre Hand schlug im gleichen Moment gegen den Lauf, in dem das Gewehr mit einem ohrenbetäubenden Donnern losging. Ein Schlag machte ihre ganze linke Seite gefühllos und die Wucht wirbelte sie herum, bevor sie zu Boden stürzte. Dort blieb sie reglos liegen.
»Clare!« brüllte Nicholas und war mit einem Satz bei ihr. Voller Entsetzen ließ er sich neben sie auf die Knie fallen und zog sie auf seinen Schoß.
Clare blickte über seine Schulter und sah, daß Wilkins mit unglaublicher Geschwindigkeit nachlud. Sie versuchte, Nicholas zu warnen, aber sie bekam keinen Laut über die Lippen.
Dann zerriß ein weiterer Schuß die Stille, doch diesmal war das Krachen schärfer, irgendwie höher. Ein roter Fleck erschien auf Wilkins’ Brust, und er bäumte sich auf, ließ sein Gewehr los und krachte reglos zu Boden.
Clare drehte mühsam den Kopf und sah Michael, der flach auf dem Bauch lag, die
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