Ein süßer Sommer
in Philadelphia den Entschluss gefasst, in die Entwicklungshilfe zu gehen. Und vielleicht war Helga in Afrika krank geworden oder bei irgendwelchen Unruhen ums Leben gekommen. Da herrschte doch immer an irgendeiner Ecke Bürgerkrieg. Sie war tot, darauf hätte ich einen Eid geschworen. Margarete zog liebevoll ihr Nesthäkchen auf, litt halbjährlich unter der Trennung von Ed und überbrückte die Zeit mit Erzählungen von früher. Vielleicht nur zur Abschreckung erzählte sie auch von Tante Helga, die ebenfalls mal ein Nesthäkchen gewesen war, in Köln ein Herz und in Afrika ein gar schreckliches Ende gefunden hatte. Und eines Tages fielen Klein-Candy ein paar alte Büchlein in die neugierigen Finger. Da las sie dann, wer wirklich ihre Mutter war und wie sehr sie gelitten hatte. Genauso hatte sie es doch ausgedrückt. Klein-Candy schrieb die wichtigsten Passagen ab, wobei sie das Geschreibsel verschlüsselte, damit kein Mensch einen Durchblick bekam. Dann brach sie auf, um den Mann zu suchen, der ihrer Mutter den Bauch gefüllt und das Herz zerrissen hatte. Helga, ein Drama in zwei Akten. Erster Akt, ein mieser Gärtner, zweiter Akt, Candys Rache. Ich glaubte zu wissen, was sie geplant und offenbar auch geschafft hatte. Ihn geködert, ihn heiß gemacht, ihm den Kopf verdreht. Er sollte verrückt nach ihr werden und dann leiden, wie Helga gelitten hatte. Am eigenen Leib sollte er erfahren, wie das ist. Zu lieben und einen Tritt zu bekommen. Mein dummer, kleiner Hase. Wusste sie nicht, dass Männer wie Gerswein sich einen Dreck um die Gefühle kleiner Mädchen scherten? Dass so alte Böcke nur auf eines aus waren? Und wenn sie das bekommen hatten, einmal, zweimal oder dreimal, so oft jedenfalls, wie ihnen selbst der Sinn oder etwas anderes danach stand, war die Sache erledigt. Wie Leid sie mir plötzlich wieder tat, für all die Mühe, die sie sich gemacht, für all den Ekel, den sie bereits geschluckt und wieder ausgewürgt hatte. Ich war gut an dem Abend, ich war sogar hervorragend. Als es am nächsten Abend um mein zerrissenes Herz ging, war ich nur noch halb so gut. Um zehn Uhr schaute Frau Grubert mal kurz nach mir und wollte wissen, ob ich vielleicht einen Kaffee trinken möchte. Es sähe ja nicht so aus, als wolle ich mich hinlegen. Ihr Schlafbedürfnis hatte ich falsch eingeschätzt. Sie war müde. Und wenn ich nicht auf Hamachers Couch wollte, man musste das bequeme Möbel ja nicht ungenutzt herumstehen lassen. Ich ließ mir einen starken Kaffee bringen in der Hoffnung, damit den Cognac zu verscheuchen. Frau Grubert goss sich noch einen Schlummertrunk ein, zog sich ins Allerheiligste zurück und schloss die Tür hinter sich. Eine halbe Stunde später war sie jenseits von gut und böse. Ich warf einen raschen Blick ins Chefbüro. Sie schnarchte leise. Der Waffenschrank war leider abgeschlossen. Mit der Suche nach dem Schlüssel hätte ich Frau Grubert vielleicht aus schönen Träumen gerissen. Ich legte ihr noch einen Zettel auf den Schreibtisch.
«Bitte überprüfen: Helga Kuhn nach in Afrika verstorben?» Dann schlich ich mich ohne eine Beretta davon – so besoffen, wie ich vorher noch nie gewesen war. Aber das kam mir gar nicht so vor. Ich fuhr nicht auf direktem Weg nach Hause, machte noch Station bei einer Kneipe, weil ich von all dem Cognac und dem Kaffee so einen klebrigen Hals hatte. Zwei Bier auf die Schnelle, auch nicht die richtige Medizin, um die Risse im Herz zu kleben. Ich war immer noch halbtot, vielleicht sogar schon zu drei Vierteln, als ich wieder ins Auto stieg. Zum Glück – eher wohl unglücklicherweise – war keine Polizei unterwegs. Um die Haustür zu öffnen, brauchte ich etliche Sekunden. Das Schlüsselloch verschwamm mir vor den Augen. Ich nahm nicht den Aufzug, sondern die Treppen, um noch ein bisschen Zeit zu schinden. Mit jeder Stufe legte ich mir ein Wort mehr zurecht. Schocktherapie. Ich weiß alles! Ich bin gar kein Steuerberater! Ich arbeite im zweiten Stock, und gelegentlich schnüffeln wir für einen gewissen Ministerialrat. Meine Kollegen haben ein paar höchst interessante Dinge herausgefunden. Vor der Wohnungstür hatte ich das alles der Reihe nach im Kopf. Ich war sogar schon darauf eingestellt, Candys Wutanfall zu parieren. Mit zwei Bier und sechs oder acht Cognac auf fast nüchternen Magen schien das kein Problem. Aber als ich dann in die Diele kam … Alle Zimmertüren standen offen. Der Lichtschein aus der Diele fiel auf mein Bett. Sie lag so friedlich
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