Ein süßer Sommer
begleiten.
«Philipp soll auf jeden Fall mit Margarete Schmitting reden», bat ich.
«Oder hat Frau Herbolsheimer Helga in den letzten Jahren mal persönlich gesehen? Auch wer die meiste Zeit auf See ist, besucht irgendwann mal die Verwandtschaft.»
«Ja, ja», sagte Hamacher unwillig.
«Philipp ist jetzt unterwegs zur Uni, vielleicht bekommt er dort Rüdiger zu packen. Aber welchen Grund sollte Margarete Schmitting haben, ihre Nachbarin zu belügen? Der jüngere Sohn und sein Anhang waren auch noch nie in Hamburg. Letztes Weihnachten waren Margarete und Ed drüben.»
«Warum wusste die andere Nachbarin nichts von Helga?»
«Was weiß ich», sagte Hamacher.
«Die wohnt ja noch nicht so lange da, hat Helga nicht persönlich gekannt. Vielleicht ist Helga das schwarze Schaf der Familie.» Zehn Minuten später kam Candy mit frischen Brötchen, Käse und zwei Flaschen Cola zurück. Zu dem Zeitpunkt war ich bereits im Bad und bemühte mich, den Schmerz aus dem Kopf zu spülen. Sie machte Frühstück, dann saßen wir uns am Küchentisch gegenüber. Zuerst noch schweigend. Irgendwann flüsterte sie:
«Es tut mir furchtbar Leid, Mike. Ich wollte dir nicht wehtun, das musst du mir glauben.»
«Was willst du von Gerswein?», fragte ich.
«Und wenn ich dir überhaupt nochmal etwas glauben soll, sagst du mir jetzt besser die Wahrheit.» Sie schaute interessiert in ihrer Kaffeetasse nach, als ob sie die Wahrheit da drin vermutete. Dann zuckte sie mit den Achseln, hielt den Kopf gesenkt und begann:
«Meine Mutter …»
«Deine Mutter», unterbrach ich sie sanft und nachsichtig,«ist laut unseren Informationen Anfang sechzig und kerngesund. Du solltest die Möglichkeiten einer großen Detektei nicht unterschätzen, Candy. Mein Chef hat mich eben angerufen. Im Moment sitzt ein Kollege von mir bei deiner Mutter und bei Helen und Ed und Rüdiger, ach nein, der wird um diese Zeit in der Uni sein. Aber drei Leute reichen ja für so eine Unterhaltung. Mein Kollege erklärt ihnen, dass du nicht in Spanien bist und im Zug auch keine lustige Clique kennen gelernt hast. Dass sie sich aber keine Sorgen um dich machen müssen.» Candy presste für den Bruchteil einer Sekunde die Lippen fest aufeinander. Wut? Sehr wahrscheinlich. Aber ich war auch wütend, so wütend wie nie zuvor in meinem Leben.
«Und vor gut einer Stunde», fuhr ich fort,«hat mein Kollege mit euren Nachbarn gesprochen. Frau Herbolsheimer, die wirst du wohl kennen. Sie hat ihm von Helga erzählt.»
«Findest du das eigentlich gut?», fragte sie,«wenn ihr im Leben anderer Leute herumschnüffelt?»
«Wir schnüffeln nie ohne Grund.» Sie nickte, presste noch einmal für einen Moment die Lippen aufeinander. Dann begann sie plötzlich zu weinen, ziemlich heftig sogar. Es erinnerte mich sekundenlang an den Ausbruch, den ich aus dem Einbauschrank beobachtet hatte. Doch der Eindruck verging, als sie mit der Faust auf den Tisch schlug und fluchte:
«Du bist ein Mistkerl, Mike.» Noch zwei oder drei Schluchzer. Sie fasste sich sehr schnell wieder und schimpfte los:
«Ich wollte von Anfang an nicht, dass du dich einmischst. Ich habe gesagt, dass ich das nicht will. Aber du musstest ja unbedingt. Jetzt weiß ich auch, warum. Das steckt einem wahrscheinlich im Blut, wenn man es Tag für Tag macht. Aber ihr wisst längst nicht alles, und ihr werdet auch nie alles erfahren. Es gibt Dinge, über die spricht Mami mit keinem Menschen, bestimmt nicht mit Frau Herbolsheimer.»
«Und was wären das für Dinge?», fragte ich.
«Sie ist operiert worden, drei Jahre vor meiner Geburt hat man ihr die Gebärmutter entfernt. Sie kann also gar nicht meine Mutter sein. Helga ist meine Mutter. Und Holger Gerswein ist mein Vater, ein anderer kommt gar nicht in Frage.»
«Hast du mit ihm geschlafen?», fragte ich. Sie antwortete nicht sofort. Erst nach einer Weile senkte sie den Kopf, schüttelte ihn gleichzeitig und murmelte dabei:
«Er ist doch mein Vater.»
«Aber das weiß er nicht», sagte ich. Wieder zwei Sekunden Stille. Dann das geflüsterte:
«Nein.» Und gleich noch einmal lauter und von ihrer Faust untermalt:
«Nein! Er hat ein bisschen an mir rumgefummelt, schon an dem Samstagabend im Restaurant. Wir saßen in einer Nische, da konnte er sich das erlauben. Über mein Bein streicheln, mehr hat er nicht getan. Und als er das mittwochs wieder versuchte und ich ihm auf die Finger schlug, da sagte er eben das, was dein Kollege gehört hat. Und das ist genauso eine Schweinerei,
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