Ein süßer Sommer
Bender gesagt hatte – kein Zufallsopfer eines Verkehrsunfalls.
«Jetzt sag es endlich», verlangte Candy.
«So schwer kann es doch nicht sein. Sprich mir nach: Ich habe am . August Helga Kuhn mit meinem Wagen zweimal überfahren, um sie daran zu hindern, mich mit ihrem Balg zu erpressen.» Es blieb still, nur ein bisschen Plätschern und das Tuckern eines Motors vom Wasser her. Mitten auf dem Strom schipperte ein Schleppkahn gemächlich dahin. Gerswein schaute in Richtung Wasser, als hoffe er auf Hilfe von dort.
«Mach den Mund auf, oder du bist tot», drohte Candy.
«Ich will es einmal von dir hören. Und ich will hören, dass es dir Leid tut, wenigstens das. Es war so unnötig. Sie wollte dich doch nicht erpressen. Sie wollte dir nur sagen, dass sie deiner Tochter ein behütetes Leben verschafft hat. Für eine Erpressung hätte sie gar nichts in der Hand gehabt. Sie haben das sehr geschickt gemacht. Sie haben Dad begleitet. Ein paar Monate auf See. Und da hat Mami ihr drittes Baby bekommen. Meine Mutter hat dich geliebt. Sie hat alles getan, damit du ungestört an deiner Karriere basteln konntest. Sie hätte dich nie wieder belästigt, wenn du ihr gesagt hättest, sie soll verschwinden. Sag es!» Die letzten beiden Worte waren nur gezischt, die las ich mehr von ihren Lippen ab. Ich sah noch, wie Gerswein den Kopf schüttelte und eine Bewegung mit den Hüften machte, als wolle er ihrer Hand in der Jackentasche ausweichen. Dann hörte ich den scharfen Knall und sein Gebrüll. Sie ließ ihn los, trat einen Schritt von ihm zurück. Er sackte vornüber auf die Knie, presste die Fäuste in den Unterleib und brüllte wie ein Tier, ein großes Tier, ein angeschossener Elefant oder so. Man musste es Hunderte von Metern weit hören. Aber ich hörte nur ihre Stimme.
«Genau da wollte ich dich treffen. Von dem Moment an, wo du mir das verdammte Ding gezeigt hast, wusste ich, dass ich dich da treffen wollte, sonst hätte ich es auch nicht ausgehalten, es mir reinschieben zu lassen. Du hättest ihn damals besser in den Dreck gesteckt als in meine Mutter. Tut es sehr weh?» Jetzt konnte ich mich wirklich nicht mehr rühren, selbst wenn ich gewollt hätte. Sie hatte mit ihm geschlafen! Beugte sich über ihn, zog die Hand aus der Tasche. Und mit der Hand eine Beretta, ein älteres Modell als die Waffen, die wir in der Agentur hatten, aber auch Kaliber neun Millimeter. Sie war so kalt, so fremd und so ruhig, als hätte sie alle Zeit der Welt.
«Wenn du jetzt gestehst, bringe ich dich sofort in ein Krankenhaus. Sie werden dir dein Prachtstück amputieren müssen, aber du wirst es überleben. Und es hätte keine weiteren Konsequenzen für dich. Ein mit Gewalt erpresstes Geständnis hat keinen Wert.» Sein Brüllen trieb mir den Schweiß aus allen Poren, machte mir die Knie weich und die Hände lahm. Sie schien taub dafür, fuchtelte ihm mit der Beretta vor dem Gesicht herum, richtete den Lauf nach unten.
«Soll ich noch einmal? Oder sagst du es mir?» Warum bin ich nicht losgehetzt und habe ihr die Waffe aus der Hand geschlagen? Sie hätte sie nicht gegen mich gerichtet, da bin ich sicher. Unterlassene Hilfeleistung, Beihilfe zum Mord, eines von beidem wird es gewesen sein. Aber ich konnte eben nicht. Sie richtete den Lauf auf sein Gesicht, zuckte mit den Achseln und sagte:
«Auch gut. Wir wissen ja Bescheid, wir wissen es alle.» Dann drückte sie noch einmal ab, irgendwie beiläufig. Und da erst konnte ich die drei Meter überwinden. Sie schaute mir ohne ersichtliche Regung entgegen.
«Willst du mich jetzt festnehmen? Das darfst du gar nicht. Privatschnüffler!» Es klang so nach Verachtung. Ohne sich noch weiter um mich zu kümmern, setzte sie sich in Bewegung. Ich stolperte neben und hinter ihr her am Wäldchen entlang, dann nach rechts auf die Straße.
«Ich hatte alles so genau geplant», schimpfte sie.
«Ich wollte ihn da liegen lassen, so, wie er meine Mutter dort abgelegt hat. Und kein Mensch hätte gewusst, mit wem er zuletzt zusammen war. Du hast mir alles kaputtgemacht, Mike. Du und deine Scheißkollegen. Jetzt muss ich ihn wegschaffen. Gut, schaffe ich ihn eben weg. Ich werde ihn auf irgendeiner Müllkippe abladen. Da gehört er hin.» Sie hatte die Straße erreicht, lief weiter zum Parkplatz, stieg in den BMW und fuhr ein paar Meter weiter. Es gab dort eine Durchfahrt, an der man mit einem Wagen hinunter zum Ufer konnte. Sie war wohl normalerweise durch einen Pfahl gesichert. Jetzt lag der Pfahl am Boden.
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