Ein süßer Sommer
finde ich toll, ehrlich. Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Sie sehen aus wie einer, der lieber seine Ruhe hat. Aber ich werde Ihnen keinen Stress machen, Hand drauf.» Ich nehme an, sie meinte das ehrlich. Auch wenn sie mir die Hand nicht darauf geben konnte, weil sie beide Hände brauchte, um ihre Reisetasche zu schleppen. Es haben sich später einige Leute darüber gewundert; meine Mutter, meine Schwester, allen voran mein Chef, der sich nicht nur wunderte, sondern auch maßlos verärgert war. Erklären konnte ich es keinem Menschen, Hamacher am allerwenigsten. Warum habe ich sie mitgenommen? Ein Mädchen, über das ich nur wusste, was es bereitwillig erzählt hatte. Das passte nicht zu mir, und ich hatte mich garantiert noch nicht in sie verliebt. Im Bahnhof dachte ich eher mit Schrecken daran, was mir bevorstand. Gut, es war vielleicht schon ein amüsierter Schrecken. Noch ein paar Stunden mit Tante Gertrud und Margarete, mit Dad, meiner Mutter oder Mami und dem Rest der Familie, vielleicht noch ein Vortrag über Umweltverschmutzung oder eine Ölpest. Mehr stünde nicht zu befürchten, meinte ich. Vielleicht war es eine Art Verantwortungsgefühl. Gut möglich, dass ich mich zurückversetzt fühlte in meine Zeit als Babysitter. Nicht dass ich beabsichtigte, aus Bauklötzen hohe Türme für sie zu errichten, wie ich es früher für meinen Neffen und seine Spielgefährten getan hatte. Ich fühlte mich nur plötzlich um mindestens zwanzig Jahre älter, sehr lebenserfahren, sehr weise und reif. Natürlich war es aufdringlich, um nicht zu sagen unverschämt, einen Wildfremden um eine Übernachtungsmöglichkeit zu bitten. Darüber hinaus war es bodenloser Leichtsinn. Und ich konnte doch dieses Kind mit seinem Geldgürtel um die Taille und dem Herzen auf der Zunge, das es ohne Zögern jedem direkt vor die Füße legte, unmöglich so einfach in eine fremde Großstadt laufen, den erstbesten Passanten, der ihm über den Weg lief, nach einer preiswerten Pension oder dem Weg zum Cranachwäldchen fragen und womöglich mit diesem Passanten gehen lassen. Der vorsichtige und um persönliche Bequemlichkeit bemühte Teil in mir fluchte, was mir denn in den Sinn käme, eine streunende Katze aufzunehmen. Aber Candy sah nicht aus, als wolle sie mich kratzen. Ich ginge kein Risiko ein, dachte ich. Für eine Nacht. In allen Ehren selbstverständlich, ohne Hintergedanken. Und wenn sie ab morgen nicht bei den Freunden ihrer Mutter übernachten konnte, weil das vermutlich ältere Semester waren, die auch gerne ihre Ruhe hatten, könnte ich sie vielleicht überreden, sich nur tagsüber am Rhein aufzuhalten und für die Nächte eine preiswerte Pension zu suchen. Morgen hätte ich Zeit und könnte ihr sogar bei dieser Suche helfen, um völlig sicher zu gehen, dass sie gut untergebracht war. Das sagte ich ihr auch. Vor mir lagen ja einige Tage, in denen ich ausspannen durfte. Vorausgesetzt, es kam nicht noch ein Auftrag herein, wäre ich bis zum . Juli, dem Donnerstag der kommenden Woche, mein eigener Herr. Dachte ich, war ich dann im Prinzip auch. Ich darf wirklich nicht behaupten, Candy hätte meine Hilfsbereitschaft oder Gutmütigkeit schamlos ausgenutzt. Wir nahmen ein Taxi. Eigentlich hätte ich noch bei der Agentur vorbeifahren, die beiden Beretta sowie die Schachtel mit der Munition abliefern und mich vergewissern müssen, dass ich in den nächsten Tagen nicht doch irgendeinen Einsatz hätte. Frau Grubert, Hamachers Vertreterin im Falle seiner Abwesenheit, wartete garantiert auf mich. Aber mit Candy im Schlepptau entschied ich mich, telefonisch durchzugeben, dass ich morgen vorbeikäme. Kurz vor zehn betraten wir meine Wohnung. Ich machte Licht, Candy schaute sich um. Sämtliche Zimmertüren standen offen, eine Angewohnheit meiner Mutter. Sie kam zweimal die Woche, wenn ich länger unterwegs war, sogar täglich, machte sauber, goss die Pflanzen und leerte den Briefkasten. Das ersparte mir die Zugehfrau. Candy ging langsam auf das Wohnzimmer zu, die Reisetasche wieder mit beiden Händen vor sich haltend. Das antiquierte Ding wollte sie einfach nicht abgeben, hatte auch nicht zugelassen, dass ich es vom Taxi ins Haus trug. Aber den Rucksack hatte ich übernehmen dürfen und war damit auch ausgelastet. Über die Schulter schaute sie sich nach mir um, anscheinend bemüht, mir ein Kompliment zu machen.
«Nett haben Sie es.» Das klang, als sei sie es entschieden netter gewohnt. Sie ließ die Griffe der Tasche los, das pralle Ding fiel zu
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