Ein süßer Sommer
in meinem Bett und einem Mädchen auf der Couch im Wohnzimmer. Einem fremden Mädchen, von dem ich nun immerhin schon mit Sicherheit wusste, dass es mit der Wahrheit recht großzügig umging und locker irgendeine Geschichte aus dem Hut zaubern konnte. Am Samstagmorgen weckte mich kurz vor sieben, noch ehe mein Wecker klingeln konnte, das Klappern von Geschirr in der Küche. Candy musste seit mindestens einer halben Stunde auf den Beinen sein. Die Kaffeemaschine blubberte an den letzten Wassertropfen. Das Geschirr vom Vorabend stand bereits abgewaschen wieder im Schrank. Der Tisch war für zwei Personen gedeckt, als ich aufstand. Mitten auf dem Tisch standen das Konfitüreglas aus meinem Kühlschrank und das Weidenkörbchen, in dem ich mir in der ersten Zeit des eigenen Haushalts immer eine Auswahl von mindestens drei Brotsorten zum Frühstück geboten hatte, bis es dann zu viel Mühe gewesen war, zwei davon wieder wegzuräumen. Das Körbchen war mit Knäckebrot gefüllt. Marschverpflegung. Auf einem Teller lagen Käsescheibletten, garniert mit den Scheiben von zwei hart gekochten Eiern und ein paar Essiggürkchen aus meinen Restbeständen. Es sah sehr appetitlich aus.
«Reicht das so?», fragte Candy.
«Ich kann noch ein Glas mit Mettwurst aufmachen. Aber wenn es offen ist, müssen wir es auch aufessen. Oder ich muss es Ihnen hier lassen. Ich kann es ja nicht kühlen.»
«Es reicht», sagte ich. Sie benahm sich, als sei sie daheim, trug immer noch das Nachthemd. Es war aus einem weichen, innen angerauten Stoff, was gut zu sehen war, weil sich der Saum nach außen wellte. Ein wenig zu eng in den Schultern war es, spannte auch über der Brust. Und aus der Nähe bemerkte ich, wie ausgebleicht und verwaschen die Farbe war. Doch dieses alte Ding hatte etwas an sich. Es machte sie fast zu einem Schmusetierchen, mit dem man sich am Abend zum Knuddeln in eine Couchecke verzieht. Ich hatte solche Vergleiche noch nie gemocht, hatte diese Grußbotschaften in Tageszeitungen immer so lächerlich gefunden. Der große Bär grüßt den kleinen Hasen oder der Tiger das Kätzchen. Aber Candy in diesem Nachthemd, da dachte ich plötzlich so ähnlich. Ein kleiner Hase. Und ebenso plötzlich gefiel mir die Vorstellung nicht mehr, dass sie sich gleich davonmachen, in die Stadt eintauchen und aus meinem Leben verschwinden wollte.
«Vielleicht sehen wir uns mal wieder. Ich bleibe ein paar Tage in Köln. Ich will nämlich ein paar Freunde meiner Mutter besuchen.» Köln war groß, dass wir uns zufällig noch einmal über den Weg liefen, praktisch auszuschließen. Von dem Abstecher zur Agentur abgesehen, hatte ich ein paar freie Tage vor mir, in denen ich sie gerne etwas besser kennen gelernt hätte. Erst jetzt wurde mir richtig bewusst, dass ich im Intercity einem anderen Mädchen gegenüber gesessen hatte, jedenfalls in den ersten Stunden. Bei meiner Rückkehr aus dem Speisewagen war der Redefluss versiegt gewesen und nicht wieder so richtig in Schwung gekommen. Auch jetzt schwieg sie, das Gesicht eine Mischung aus Konzentration und Ernst. Nur wenn ich sie anschaute, lächelte sie, kaute mit verträumter Miene auf ihrem Knäckebrot, wirkte dabei jedoch in keiner Weise verschlafen. Während ich noch überlegte, wie ich ein Gespräch in Gang bringen könnte, erinnerte sie sich offenbar an mein Versprechen, ihr bei der Suche nach einer preiswerten Pension zu helfen.
«Wenn Sie jetzt selbst wegmüssen», meinte sie,«haben Sie ja keine Zeit. Aber Sie fahren doch sicher in die Stadt, könnten Sie mich am Bahnhof absetzen? Von da aus habe ich bestimmt gute Verbindungen. Vielleicht sollte ich mir einen Stadtplan kaufen.»
«Was ich versprochen habe, gilt noch», sagte ich.
«Ich muss nur ein paar Unterlagen aus dem Büro holen. Ganz in der Nähe ist eine Buchhandlung. Machen wir es doch so, du kaufst dir einen Stadtplan, ich hole währenddessen die Papiere, danach habe ich den ganzen Tag Zeit. Dann brauchst du keine guten Verbindungen. Du hast einen Wagen mit Chauffeur.» Für einen Moment schien sie sprachlos, vergaß zu kauen, schluckte etwas heftiger und räusperte sich.
«Das ist sehr lieb gemeint, aber das kann ich nicht verlangen.»
«Du hast doch nichts verlangt», sagte ich. Sie schüttelte den Kopf und erklärte nachdrücklich:
«Nein, das kann ich nicht annehmen. Es geht auch gar nicht. Ich will doch Freunde meiner Mutter besuchen. Das wird bestimmt länger dauern, da gibt es sicher viel zu erzählen.» Ich dachte, sie wolle
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