Ein süßer Sommer
mir die nicht in den Kopf. Ich galt als naiv oder blauäugig, wie Ina das oft ausdrückte, weil ich meist jede Behauptung für bare Münze nahm. Man hielt mich für gutmütig und hilfsbereit, weil ich mich bückte, wenn ein Baby den Schnuller aus dem Kinderwagen spuckte oder einem alten Mann am Kiosk das Kleingeld für die Zeitung aus den Händen fiel. Mit sechzehn wurde ich zuerst von meiner Schwester, im Anschluss von ihrem gesamten Bekanntenkreis häufig als Babysitter angeheuert. Dann konnten sie sich unbesorgt einen netten Abend machen. Manchmal hütete, wickelte und fütterte ich drei Zwerge zur gleichen Zeit, und alle fanden, ich mache das besser als jedes Mädchen. Mit achtzehn machte es mir immer noch mehr Spaß, am Samstagnachmittag mit Vater das Auto zu putzen und mich anschließend in meinem Zimmer aufs Bett zu legen, einen Kopfhörer aufzusetzen und Musik zu hören. In Diskotheken zog es mich überhaupt nicht, auch nicht ins Kino, ins Schwimmbad, auf Sportplätze oder an andere Orte, wo Jugendliche sich mit Vorliebe versammelten. Mit zwanzig ging ich zur Polizei. Meine Eltern, Ina und mein Schwager meinten übereinstimmend, das sei genau der richtige Beruf für mich, ich sei prädestiniert als Freund und Helfer. Es sei ja auch ein krisenfester Job, dass die Firma pleite ginge, stünde nicht zu befürchten. Nur ist die Sicherheit im Staatsdienst die eine Seite, auf der anderen steht ein schlichtes Rechenexempel. Gut bezahlt werden junge Polizisten nicht. Hinzu kommt der Frust. Wer freut sich denn wirklich, wenn so ein Freund und Helfer auftaucht? Man ist der Prügelknabe der Nation. Bei Verkehrskontrollen wird man beschimpft, bei Demos mit Steinen beworfen. Holt man einen Randalierer aus einer Kneipe, muss man sich vors Schienbein treten lassen, zurücktreten darf man nicht. Mit vierundzwanzig hatte ich schon keine Lust mehr. Und zu dem Zeitpunkt – im Februar war das – las ich die Annonce der Agentur Hamacher.
«Männliche Fachkraft für Sicherheitsbereich zu guten Konditionen gesucht.» Es war etwas schwammig formuliert. Was sollte ich mir unter Sicherheitsbereich vorstellen? Ich dachte an Werkschutz, war es aber nicht. Die Agentur Hamacher war eine Detektei, allerdings nicht das, was man sich gemeinhin darunter vorstellt. Zwar hatte Peter Hamacher in den sechziger Jahren so angefangen, stundenlang mit einem Fotoapparat, einem Butterbrot und einer Flasche Wasser im Auto gesessen und darauf gelauert, ein paar kompromittierende Aufnahmen schießen zu können. Aber als ich mich bewarb, ging es längst nicht mehr vordringlich um untreue Ehemänner oder -frauen. Inzwischen wurden nur noch manchmal welche gesucht, die sich vor Unterhaltszahlungen drückten oder ihre Kinder in ein Land verschleppt hatten, aus dem diese nur schwerlich wieder rauszuholen waren. Seit Jahren war Hamacher Chef in einer richtigen Firma, die er kontinuierlich ausgebaut hatte. Es gab sogar eine Zweigstelle in Frankfurt mit sechs Angestellten. In Köln waren es – ehe ich dazukam – sieben, drei davon Mitarbeiter im Außendienst. Das klingt vornehmer als Schnüffler oder Leibwächter. Wir verfügten sogar über ein eigenes Labor, in dem nicht nur Fotos entwickelt wurden. Dort arbeiteten zwei Leute. Im so genannten Sekretariat saß Tamara. Sie war Ende vierzig und kam aus dem Osten. Bei ihrem Nachnamen machte sich jeder drei Knoten in die Zunge, deshalb durften alle sie duzen. Tamara hatte eine Weile für den BND gearbeitet. Was sie dort getan hatte, weiß ich nicht. Aber sie hatte diverse nützliche Erfahrungen gesammelt, die sie in der Agentur nur noch gelegentlich anwenden konnte. Sie war zuständig, wenn es darum ging, einen Lebenslauf zu kreieren, damit ein Außendienstler in irgendeiner Firma tätig werden konnte.
Darüber hinaus stellte sie Informationsmaterial zusammen, schrieb Rechnungen, tippte Berichte sauber ab und fungierte als Empfangsdame. Vom Empfang aus ging es immer erst mal zu Frau Grubert, der Chefsekretärin, die auch als Hamachers Vertretung fungierte, wenn er sich in Frankfurt oder sonst wo aufhielt. In gewisser Hinsicht war die Agentur ebenso straff organisiert wie eine Polizeidienststelle. Aber sie war entschieden besser ausgestattet, verfügte über einen gepflegten Fuhrpark, sogar über etliche Computer. Damit war es , als ich für Hamacher zu arbeiten begann, zwar noch nicht so weit her. Aus heutiger Sicht bewegte man sich bei der elektronischen Datenverarbeitung oder Erfassung noch in der Steinzeit.
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