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Ein süßer Sommer

Ein süßer Sommer

Titel: Ein süßer Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Cranachwäldchen führte, war mehr am Schiffsverkehr und an der Wasserverschmutzung interessiert. Es gab ja auch keine Hinweistafel. Erst als ich ihr erklärte, wo wir waren, blieb sie unvermittelt stehen, fast so, als sei sie gegen eine Wand geprallt. Sie strafte mich mit einem Blick aus braun gefärbten Augen. Ihre Stimme hatte eine gewisse Schärfe.
    «Das ist nicht fair, Mike. Hier wollte ich allein hingehen. Das habe ich dir auch gesagt. Ich habe mir immer vorgestellt, hier zu sitzen, es ist dunkel und ruhig, und dann tauche ich zurück in die Vergangenheit und fühle, was meine Mutter empfunden hat. Glaubst du an so etwas?»
    «Nein», sagte ich.
    «Aber ich», erklärte sie nachdrücklich.
    «Menschen hinterlassen überall Spuren, nicht nur Fußabdrücke oder so. Wenn sie an einem Ort besonders glücklich oder sehr traurig waren, kann man das noch nach Jahren spüren, wenn man sich darauf konzentriert. Geh ein Stück weiter.» Beim letzten Satz wedelte sie ungeduldig mit einer Hand. Ich tat ihr den Gefallen, zog mich etliche Meter zurück und schaute zu, wie sie umherging, von einem Baum zum anderen. Bei jedem blieb sie stehen, legte die Hände an den Stamm, ein paar Mal auch das Ohr, als lausche sie, ob die Rinde ihr etwas erzählte.
    «Soll ich dir eine Wünschelrute besorgen oder ein Pendel?», rief ich, als mir das zu dumm wurde. Mit esoterischen Spinnereien wollte ich nichts zu tun haben. Ich bekam schon Zustände, wenn sich jemand am Tageshoroskop orientierte, wie unsere tüchtige Tamara es gelegentlich tat.
    «Sei einfach nur still!», rief sie zurück und schaute sich um, als suche sie etwas Bestimmtes. Dann entdeckte sie den Stein – Stromkilometer –, ging hin, umrundete den Brocken einmal, strich mit den Händen darüber und setzte sich davor auf den Boden, mit Blick aufs Wasser. Mit einem Mal wirkte sie gelöst und entspannt.
    «Komm her, Mike!», rief sie und klopfte mit einer Hand neben sich auf die Erde.
    «Setz dich zu mir, dann fühlst du es vielleicht auch. Hier hat man Schmetterlinge im Bauch.»
    «Da muss man aber vorher Raupen essen», sagte ich.
    «Ach, hör auf», kam es unwillig zurück.
    «Du hast überhaupt keinen Sinn für Romantik. Ich spüre es ganz deutlich. Hier muss es gewesen sein.»
    «Was?», fragte ich und fühlte, obwohl ich noch einige Meter entfernt stand, schon in dem Moment etwas. Unbehagen, weil mir unwillkürlich eine gesichtslose junge Frau vor Augen stand, über deren Tod Hartmut Bender vor ewigen Zeiten in der Kölnischen Rundschau berichtet hatte. Zweimal überfahren, vorher wahrscheinlich vergewaltigt – das war den Vertretern der Presse nicht so genau mitgeteilt worden – und dann hinter den Stein geschleppt. Es war exakt dieser Stein gewesen. Ich wusste nur nicht, auf welcher Seite die Leiche damals entdeckt worden war, vielleicht zum Rhein hin. Dann saß Candy jetzt genau auf dem Fleck, an dem die Tote gelegen hatte.
    «Hier war meine Mutter unendlich glücklich», erklärte sie.
    «Das ist auch ein schöner Platz, findest du nicht? Wie geschaffen für Liebe. Es muss natürlich dunkel sein.»
    «Ich kann mir schönere Plätze vorstellen», sagte ich, verlangte:
    «Komm weg da», und erinnerte sie an das, was ich ihr im Zug erzählt hatte. Es schien ihr nicht gleich wieder einzufallen. Kein Wunder, wenn man selbst praktisch ohne Pause spricht, gehen kleinere Wortbeiträge von anderen verloren. Doch dann nickte sie und lachte mich aus.
    «Hast du Angst vor Geistern, Mike? Glaubst du, sie beißt mich in den Hintern, wenn ich hier noch länger sitze? Vielleicht greifen auch plötzlich ihre Hände aus der Erde und ziehen mich nach unten. Buh.» Mit zu Krallen geformten Händen griff sie in die Luft. Aber dann stand sie doch auf, klopfte den Staub von ihrer Jeans, kam zu mir und sagte dabei:
    «Das arme Mädchen ist doch längst woanders von den Würmern gefressen worden.» Später an dem Nachmittag saßen wir in einem Café. Candy war immer noch nicht wieder das Mädchen, das ich im Zug kennen gelernt und beim Mittagessen noch gesehen hatte. Ihre Körperhaltung, ihre Stimme, der Farbton ihrer Augen, alles war anders, irgendwie aggressiv, fast schon feindselig und kalt.
    «Was machen wir nun?», fragte sie, nachdem ich die beiden Kaffee und zwei Tortenstücke bezahlt hatte.
    «Zeigst du mir jetzt den deiner Meinung nach schöneren Platz für Liebe und versprichst mir, ganz behutsam zu sein? Oder stürzen wir uns ins Nachtleben? An deiner Stelle würde ich es

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