Ein süßer Sommer
Schloss, noch bevor ich mich aufrichten konnte. Und das war ja dann auch überflüssig. Bis kurz nach zehn blieb ich im Bett und döste mich von einer Traumvorstellung in die andere. Die meiste Zeit saß ich neben ihr auf der Couch und hielt sie im Arm, aber anders als in der Nacht zum Sonntag, ohne Nachthemd. Als ich sie dann auch noch neben mir im Bett fühlte, stand ich lieber auf. Der Kaffee war nur noch lauwarm und wieder mal viel zu stark. Ich brühte mir frischen auf und frühstückte in aller Ruhe. Danach duschte ich ausgiebig, rasierte mich, zog mich an, räumte die Wohnung auf und wusste anschließend nicht, was ich tun sollte. Das war mir noch nie passiert. Normalerweise hätte ich jetzt Einkäufe gemacht, gekocht und dabei die Vorfreude aufs Essen genossen. Aber jetzt hatte ich plötzlich den Geschmack von Mais, Thunfisch und Zwiebeln auf der Zunge und wollte auch die Wohnung nicht verlassen, damit Candy bei ihrer Rückkehr nicht vergebens klingeln müsste. Es wäre bestimmt einiges anders gekommen, hätte nicht um die Mittagszeit Frau Grubert angerufen und mitgeteilt, es sei soeben von der Seniorchefin der Firma Mader eine weitere Mappe mit höchst brisanten Daten hereingereicht worden, die ich am besten sofort abholen sollte.
«Das ist im Moment schlecht», sagte ich.
«Es scheint aber wichtig zu sein», erklärte Frau Grubert.
«Die Dame sprach von Vergleichsdaten, sie war sehr aufgeregt.» Ja, das hatten alte Frauen mit Sprüngen in der Schüssel manchmal so an sich. Aber ich hatte – verdammt nochmal – Urlaub und nicht vor, einen Fuß vor die Tür zu setzen, solange Candy nicht zurück war. Frau Grubert belehrte mich, es sei niemand da, den sie mit der Mappe zu mir schicken könne. Einen Taxifahrer dafür anzuheuern, lehnte sie kategorisch ab. Es seien wohl sehr heikle Daten, die könne man keiner fremden Person anvertrauen. Sie redete so lange auf mich ein, bis ich schließlich sagte:
«Na schön, ich komme.» Vielleicht kam Candy ja erst am Nachmittag zurück. Wenn sie an der Uni jemanden aufgetrieben hatte, der sich an ihre Mutter erinnerte, gab es bestimmt eine Menge zu erzählen. Und dann könnte ich mir mit den heiklen Daten vielleicht ein wenig die Zeit vertreiben, dachte ich, ging in die Diele, nahm meine Jacke und – suchte anschließend geschlagene fünf Minuten nach meinem Schlüsselbund, ehe ich begriff, wo es sich derzeit befinden musste. Zwischen Pfefferminzbonbons, Deoroller, Lippenstiften, Kleingeld und Papiertüchern in Candys geräumigen Jackentaschen. Das machte aber nichts. Ich hatte Ersatzschlüssel, so kam ich wenigstens aus der Wohnung. Fürsorglich eingeschlossen hatte sie mich nämlich auch noch. Hatte ich im Halbschlaf gar nicht mitbekommen. Und weiter als ins Freie kam ich nicht. Mein Parkplatz war leer. Ob ich wütend war? Klar war ich das, von einer Sekunde zur nächsten waren alle Besorgnis und jede romantische Anwandlung vergessen. Dass Candy schon in den ersten zehn Minuten ihrer Anwesenheit in meiner Küche Chaos verbreitet hatte, darüber hatte ich hinwegsehen können. Dass sie den Inhalt ihrer Kulturtasche locker in meinem Badezimmer verteilt hatte – wo ich Ordnung hielt – und meinen Kühlschrank derart mit Getränkedosen voll gestopft, dass kein Platz mehr war für ein paar frische Joghurts, auch kein Beinbruch. Aber beim Auto hörte der Spaß auf. Vor allem, weil es sich um ein noch neuwertiges Mercedes Coupé handelte, das völlig frei von Schrammen, Beulen und dergleichen war und mich mehr als einen halben Jahresverdienst – Brutto – gekostet hatte. So einen Wagen nahm man nicht, ohne um Erlaubnis zu fragen. Ich hatte doch angeboten, sie zu fahren! Ich war mehr als wütend, stinksauer war ich, am meisten vielleicht auf mich selbst. Ihr Interesse an den technischen Daten meines Prachtstücks schien mir mit einem Mal sehr verdächtig. Plötzlich fragte ich mich, ob ich tatsächlich ein wohlbehütetes Töchterlein aus gutem Haus bei mir aufgenommen hatte oder ob in Augsburg irgendwer schmerzlich siebentausend Mark vermisste. Vielleicht gab es gar keine Tante Gertrud. Am Freitagabend konnte Candy auch die Zeitansage angerufen haben. In gut situierten Familien war es doch wohl üblich, den Kindern beizubringen, dass man sich nicht an fremdem Eigentum vergriff. Ich hetzte wieder hinauf in die Wohnung. Dass ihr Gepäck noch in meinem Schlafzimmer stand, hieß nicht viel. Die Reisetasche war nicht abgeschlossen, der breite Geldgürtel weg und der Rest
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