Ein süßer Sommer
nicht viel wert. Bis auf den Grund kontrollierte ich die Tasche nicht. Das alte Fotoalbum und das Büchlein mit der Goldprägung auf dem Einband bekam ich auf diese Weise nicht zu Gesicht, aber beide interessierten mich in dem Moment einen feuchten Dreck. Den Rucksack rührte ich gar nicht an, weil es mich zu meinem Wohnzimmerschrank zog, nachdem ich meine Brieftasche kontrolliert hatte. Sie hatte zusammen mit dem Schlüsselbund in meiner Jacke gesteckt und den Kraftfahrzeugschein enthalten. Der war nun verschwunden. Und im Schrank lag – außer einigen hundert Mark Bargeld – immer der Kraftfahrzeugbrief, der es erlaubt hätte, mein Auto zu verkaufen. Den hatte Candy sich allerdings nicht
«ausgeliehen». Auch mein Geld hatte sie nicht angerührt. Ich beruhigte mich ein wenig und nahm an, sie habe nur in einem Nobelschlitten bei den Professoren an der Uni Eindruck schinden wollen. Seht her, wie weit meine Mami es gebracht hat. Notgedrungen rief ich mir ein Taxi, nicht um zur Agentur zu gelangen. Die neue Mappe von der alten Frau Mader war mir in dem Moment schnurzpiepegal. Zuerst ließ ich mich zur Universität bringen in der Hoffnung, dort irgendwo mein Auto zu entdecken. Aber nachdem der Taxifahrer eine halbe Stunde lang durchs Viertel gefahren war, nannte ich ihm die Adresse der Agentur. Wozu hatten wir einen Fuhrpark? Damit könnte ich preiswerter suchen, dachte ich. Kurz nach zwei betrat ich die Eingangshalle. Im Hintergrund schloss sich gerade die Tür des Aufzugs, eine Person stand drin. Vom Eingang bis zum Aufzug waren es etliche Meter, und die Tür war verdammt schnell. Es lohnte sich nicht, loszusprinten, wenn sie sich bereits schloss. Abgesehen davon blieb ich auch erst einmal wie angenagelt stehen, weil ich dachte, ich hätte eine Halluzination. Nackenlanges, leicht gewelltes, dunkelblondes Haar, rundes Gesicht, rotes Kostüm, knappes Jäckchen, unter dem der breite Geldgürtel hervorlugte. Der Rock war so kurz, dass ich unwillkürlich schlucken musste. Dazu trug sie hochhackige Schuhe, die sie um fast zehn Zentimeter größer machten und nur aus Sohle, Absatz und ein paar ebenfalls roten Riemchen bestanden. Es war fast wie ein elektrischer Schlag. Ich hatte das Bedürfnis, durch die Halle zu rufen und, dem besseren Wissen um die Schnelligkeit der Aufzugtür zum Trotz, doch noch loszuhetzen, um mich zu vergewissern. Da hatte ich sie nun mehrfach in engen, ausgebleichten Jeans und T-Shirts gesehen, letzte Nacht im Büstenhalter und ein paar Mal in einem verwaschenen roten Nachthemd, das sie in ein kleines Plüschtier verwandelte. Die Frau im Aufzug hatte absolut nichts von einem Häschen oder Kätzchen an sich gehabt. Doch kaum hatte sich die Aufzugtür völlig geschlossen, war ich mir meiner Sache absolut sicher. Es mochte ja Doppelgänger geben oder die verblüffende Ähnlichkeit bei Zwillingen. Aber die Frau im Aufzug war Candy, dafür hätte ich beide Hände ins Feuer gelegt. Sie hatte wie hypnotisiert auf die Stockwerksanzeige gestarrt und mich nicht bemerkt.
5. Kapitel
Während ich wie ein Trottel in der Eingangshalle stand, fuhr der Aufzug nach oben. Von außen gab es keine Anzeige. Theoretisch konnte Candy in jedem Stockwerk aussteigen. Aber da ich ihr das Büro des Steuerberaters als meinen Arbeitsplatz genannt hatte, nahm ich an, sie sei in die vierte Etage gefahren. Warum? Keine Ahnung, ich dachte nicht darüber nach, sondern rannte die Treppen hinauf. Erster Stock, zweiter Stock, dritter Stock. Im vierten Stock stand ich vor einer verschlossenen Tür. Mittagspause von : bis : Uhr. Und von Candy keine Spur. Da auf mein Klingeln und Klopfen niemand öffnete, konnte sie auch nicht mehr Glück gehabt haben. Sekundenlang stand ich da wie ein Idiot. Dann kam mir die vermeintliche Erleuchtung. Ich wusste nicht, um welche Zeit sie aufgestanden war, hatte weder die Dusche noch die Kaffeemaschine oder sonst etwas gehört. Sie hatte genügend Zeit gehabt, sich gründlich in meinen Schränken umzutun. Und darin gab es Hinweise auf meinen tatsächlichen Arbeitgeber. Im Wohnzimmerschrank lag ein Hefter mit Gehaltsabrechnungen. Na warte, dachte ich und hetzte wieder hinunter in den zweiten Stock. Ich rechnete damit, sie noch in Verhandlungen mit unserer Schreibkraft und Empfangsdame Tamara, allenfalls im Vorzimmer bei Frau Grubert anzutreffen. Da war sie aber nicht – oder nicht mehr. Und mir kam nicht der Gedanke, Frau Grubert gegenüber mein hektisches Auftauchen mit ihrem Anruf bei mir zu
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