Ein süßer Sommer
Trennungsangst, mit Abhängigkeit und Treueschwur, mit Zukunft eben. Ein älterer Mann! Das kränkte mich doch ein wenig. So alt war ich mit meinen achtundzwanzig ja nun wirklich noch nicht, nur neun Jahre älter als sie. Ich sagte, ich könne mir das sehr gut vorstellen, und deckte sie dabei zu. Das rote Nachthemd machte mich halb wahnsinnig. Ich fragte mich, ob sie darunter noch etwas anderes trug. Gefühlt hatte ich nichts unter dem dicken Stoff, als ich ihren Rücken streichelte. Und ich wollte nicht in Versuchung geraten, nachzusehen. Deshalb stopfte ich die Decke noch unter ihre Schultern. Dann erhob ich mich und ging zur Tür. Als ich den ersten Fuß in die Diele setzte, rief sie hinter mir her:
«Mike! Und du bist mir wirklich nicht böse?» Ich blieb noch einmal stehen, drehte mich zu ihr um.
«Ich meine», sagte sie,«du lässt mich hier wohnen. Du hast dir doch sicher etwas dabei gedacht, als du mich mitgenommen hast, und gestern, als du gesagt hast, ich könnte bis Mittwoch bleiben.»
«Hab ich», sagte ich,«aber das erkläre ich dir morgen früh.» Am Sonntagmorgen wirkte sie ein bisschen verkatert oder eher verschnupft. Sie sah aus, als hätte sie noch eine ganze Weile still und heimlich geweint. Von einem Anruf bei Mami sprach sie nicht mehr. Ich dachte auch nicht daran, sie zu erinnern, war viel zu sehr mit mir selbst und diesen ungewohnten Gefühlen beschäftigt. Liebe. Es muss Liebe gewesen sein. Verliebtheit war anders, flüchtiger, das hatte ich schon erlebt. Jetzt war es so ein tiefes, warmes Gefühl in meinem Innern, das mir vor Augen führte, wie blutleer mein bisheriges Leben gewesen war, jedenfalls im privaten Bereich. Es gab Brot und Aufschnitt zum Frühstück, und der Kaffee war zu stark. Ich beschrieb ihr den Eindruck, den sie im Zug auf mich gemacht hatte. Enthusiastisch, aber naiv, gutgläubig und vertrauensselig, das potenzielle Opfer für Männer mit Hintergedanken. Dann erzählte ich ihr von einer kleinen Schwester, unserem Nesthäkchen, das es gar nicht gab, und dass ich für sie so ähnlich empfand. Anschließend fragte ich, ob sie mir den Namen des Mannes nennen könne, den sie in Köln-Sülz gesucht hatte. Ich erklärte ihr sogar, dass ich eventuell die Möglichkeit hätte, die derzeitige Adresse dieses Mannes ausfindig zu machen – ohne meine Möglichkeiten näher zu erläutern. Sie lachte verlegen und winkte gleichzeitig ab.
«Nein, Mike, das ist sehr lieb gemeint, aber wirklich nicht nötig. So wichtig ist es nicht, dass du dafür deinen Urlaub verschwendest. Ich habe doch schon gesagt, es war eine blöde Idee, wenn man es richtig bedenkt. Ich hätte ihn eben gerne einmal kennen gelernt. Vielleicht war ich bloß neugierig, ob er immer noch ein toller Typ ist. Und wahrscheinlich wäre ich maßlos enttäuscht von ihm, weil er inzwischen einen Bauch hat und eine Glatze, eine dicke Frau und vier oder fünf Kinder. Nein, lieber nicht. Ich fahre morgen zur Uni. Vielleicht treffe ich dort noch einen von den Professoren, bei denen meine Mutter studiert hat.» Da brach sogar ein bisschen Schalk durch.
«Vorausgesetzt, die sind nicht in den letzten zwanzig Jahren alle gestorben.» Sie lachte noch einmal kurz und leise.
«Wenn ich viel Glück habe, kann sich vielleicht noch einer an meine Mutter erinnern. Den grüße ich dann schön, erzähle ihm, wie es ihr in den letzten zwanzig Jahren ergangen ist. Und dann …» Ein Seufzer so dick wie ein Dachbalken, ein wehmütiges Lächeln. Ihre Stimme zitterte ein wenig, als sie weiter sprach.
«Bedanke ich mich ganz lieb bei dir und sehe zu, dass ich wieder nach Hause komme.» Die Vorstellung behagte mir nicht, und ich konnte ihr das nicht einmal sagen, musste mich weiter so benehmen wie der große Bruder. Damit mir das ein wenig leichter fiel, schlug ich noch einen ausgedehnten Stadtbummel vor. Das erschien mir sicherer, als mit ihr in der Wohnung zu bleiben. Zu Mittag aßen wir wieder Steaks, für Candy die Idealvorstellung einer guten Mahlzeit. Viel besser als Fisch, den Mami seit dem Umzug nach Hamburg häufig auf den Tisch brachte. Fisch zu essen war in Candys Augen fast Kannibalismus – all den Fischkonserven zum Trotz. Die hatte ja auch Tante Gertrud besorgt. Nur ein kleiner Schwindel, eine Tante, die ihre Nichte lieber bei sich behalten hätte, besorgte keinen Reiseproviant. Aber beim Essen klang Candy noch ganz normal. Nachmittags war sie anders. Wir machten einen Spaziergang am Rheinufer. Sie merkte nicht, dass ich sie ins
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