Ein süßer Sommer
Güte, das behaupteten doch alle Männer, die sich nebenher noch eine Geliebte leisteten. Helga glaubte es so wenig wie ich. Bitter enttäuscht von diesem vermeintlichen Ehebrecher und Lügner stürzte Helga sich schon bei der Willkommensparty, die Margarete für sie gab, Hals über Kopf auf den Nächstbesten. Man musste den Teufel mit Beelzebub austreiben. Natürlich war Dad kein Beelzebub. Auf seine Art war er ein lieber Kerl, ein bisschen schusselig vielleicht, immer mit dem Herzen bei den Fischen. Wie die sich vermehrten, wusste er. Bei Menschen war ihm das anscheinend nicht so klar. Margarete habe einmal erzählt, er sei aus allen Wolken gefallen, als ihm eröffnet wurde, dass seine Aktivitäten bei der Party nicht ohne Folgen geblieben seien. Aber er war sofort bereit, Helga zu heiraten. Dass er sich gleich anschließend unters Messer legte, um weitere Unfälle zu verhindern, sagte er nicht. Zur Trauung war er über eine halbe Stunde zu spät gekommen, ohne Ring, der war in der Eile im Labor liegen geblieben, umziehen können hatte er sich auch nicht mehr. Die halbe Hochzeitsgesellschaft hatte darüber geschmunzelt, Helga auch, obwohl ihr wohl eher zum Heulen gewesen war. Zur Hochzeit waren selbstverständlich auch Tante Gertrud und Onkel Paul nach Philadelphia gekommen. Und spätabends, nach etlichen Gläsern Wein, hatte Gertrud offenbart, was sie eigentlich verschweigen wollte. Dass Helgas große Liebe ganz Deutschland nach ihr absuche. Bei ihrer Mutter in Hamburg sei er gewesen und natürlich bei Gertrud, die damals noch in Heidelberg lebte. Gebettelt und gefleht habe er, man möge ihm doch sagen, wo seine Liebste sei. Er habe die Scheidung eingereicht, sei in Kürze frei für Helga und ein gemeinsames Glück. Aber nun war Helga gebunden und erwartete ein Kind, dem sie den Vater nicht vorenthalten wollte. Wer wusste denn, ob die große Liebe das Kind eines anderen einschloss? Vielleicht hätte er von Helga verlangt, das Baby wegzugeben. Außerdem war es nicht Helgas Art, einen Mann zu heiraten und ihn nur ein paar Stunden später wieder zu verlassen. Sie meinte eben, sie müsse nun zuerst an das Glück ihres Kindes denken und nicht an ihr eigenes.
«Dann müssten doch deine Tante Gertrud oder Onkel Paul wissen, wie der Mann heißt», sagte ich.
«Warum, glaubst du, bin ich zuerst nach Augsburg gefahren?», fragte Candy. – Um in Tante Gertruds Schreibtisch zu schnüffeln, dachte ich, und bei Onkel Paul die alte Reisetasche abzustauben. Vermutlich hatte die mal ihrer Mutter gehört.
«Aber ich konnte sie nicht direkt fragen, Tante Gertrud hätte bestimmt sofort Dad oder Mami angerufen. Und Margarete weiß den Namen nicht. Als sie mir von der Hochzeit erzählt hat, sagte sie, Tante Gertrud sei damals ziemlich angetrunken gewesen und habe sich über den Mann lustig gemacht. Sie mochte ihn nämlich nicht, sie meinte, ein Geschiedener sei nicht gut genug für Helga.» Irgendwann erhob Candy sich und ging ins Schlafzimmer, es war mehr ein Schleichen. Sie machte sich an ihrem Rucksack zu schaffen. Zurück kam sie mit dem Büchlein und ein paar gefalteten Seiten, die vermutlich im Schlafsack gesteckt hatten. Auszüge aus Helgas Tagebüchern in Reinschrift. Sätze, die mir eine Gänsehaut verursachten.
«Ich bin völlig machtlos. Wenn er mich berührt, zerfließt mein Verstand. Wenn er mich verlässt, mein Herz.» Candy erklärte, was ich mir schon dachte, dass anstelle des Er ein Herz gemalt sei. Kein Name, nirgendwo ein Name. Auch nicht zu Anfang, wo es um die Zeit in der Wohngemeinschaft ging. Da hatte Helga ihre Mitbewohner nur mit einem Buchstaben bezeichnet, wahrscheinlich die jeweiligen Anfangsbuchstaben der Vornamen. Und später hatte sie wichtige Personen durch diese kleinen Zeichnungen dargestellt. Leo, der Löwe. Er, das Herz. Und die Erdkugel. Der Vermieter in Köln-Sülz hieß Erdmann. Helga hatte wohl einen Sinn für Symbolik gehabt. Candy zeigte mir auch die vermeintlich entsprechenden Stellen im Büchlein, die ich natürlich nicht auf ihre Richtigkeit prüfen konnte. Ich stellte nur fest, dass Helgas Verstand ziemlich weit hinten im Buch zerflossen war.
«Was ist das für ein Code?», fragte ich.
«Das ist ganz kompliziert. Wenn man das Datum nicht kennt, kann man ihn nicht knacken», sagte Candy nur. Sie konnte die wichtigen Stellen ja lesbar präsentieren, zum Beweis ihrer Behauptung, dass Erdmann ein Lügner war.
«Die Wohnung gehört», dahinter eine Erdkugel und weiter:
«Mir ist sie
Weitere Kostenlose Bücher