Ein süßer Sommer
dass er über mich herfällt. Wie er mich angeschaut hat und so hässlich gegrinst. Und dann stieg er hier auf der Etage mit mir aus, ging zu einer anderen Wohnung und fummelte an der Tür herum, als wolle er aufschließen. Der hat doch nur darauf gewartet, dass ich die Tür aufmache, damit er mich reinstoßen kann. Deshalb habe ich gleich gerufen, damit er merkt, dass ich nicht allein bin.» Auf das Naheliegende kam ich wieder mal nicht. Wenn überhaupt, dachte ich im ersten Moment, war es vermutlich einer meiner Nachbarn, zumindest in den letzten Minuten. Dass sie den ganzen Nachmittag und Abend einen Schatten auf den Fersen gehabt hätte, nun gut, man konnte es nicht ausschließen.
«Wie sah der Mann denn aus?», fragte ich. Candy hätte eine erstklassige Zeugin abgegeben. Kein Detail war ihr entgangen. Ende vierzig, gut einsachtzig groß, dunkelhaarig, an den Schläfen lichtete sich das Haar bereits, schmales, fast hageres Gesicht, etwas übernächtigt, braune Augen, links an der Nase eine kleine Narbe, der linke Mundwinkel leicht nach unten gezogen, grauer Anzug, schmaler Ehering, teure Armbanduhr. Ihre Beschreibung führte mir unweigerlich Hartmut Bender vor Augen. Die Narbe und der hängende Mundwinkel waren Folgen eines Autounfalls aus seiner Zeit als Reporter bei der Kölnischen Rundschau. Und die teure Uhr hatte er zum letzten Geburtstag von seiner Frau geschenkt bekommen. Aber wieso hätte Hartmut – und dann auch noch so auffällig? Das fragte ich mich nicht lange: Er hatte einen neuen Auftrag übernommen und dafür eigens seinen Urlaub abbrechen müssen. Hamacher wusste, dass ich Candy kannte. Und Holger Gerswein ließ die familiären und sonstigen Beziehungen seiner Gespielinnen grundsätzlich durch die Agentur checken. Doch das tat er normalerweise erst, wenn er sich berechtigte Hoffnungen auf eine längere Beziehung machte. Für einen Flirt gab er kein Geld aus. Anheizen ist erlaubt, hatte sie gesagt! Aber anheizen hatte sie ihn doch frühestens am Samstag können. Hamacher hatte jedoch schon am Freitag von dem Auftrag gesprochen, folglich musste Gerswein auch schon am Freitag gewusst haben, dass er sich Hoffnungen machen durfte. Nachdem er donnerstags von einer Schülerin angerufen worden war, die ihn interviewen wollte? Schwer vorstellbar.
10. Kapitel
Um das zu klären, verließ ich die Wohnung auch am Mittwoch zur gewohnten Zeit. An die Fotos unter meiner Matratze dachte ich verständlicherweise nicht. Um halb neun war ich in der Agentur. Hamacher wartete bereits auf mich, manchmal war mir seine Intuition unheimlich. Er grinste, als ich sein Büro betrat. Da musste ich mich nicht lange mit Vorreden aufhalten, steuerte mein Ziel frontal an.
«Haben wir einen neuen Auftrag von Gerswein? Oder warum war Hartmut gestern hinter Frau Schmitting her? Das war er doch.» Eine Bestätigung bekam ich nicht sofort.
«Schmitting?», wiederholte Hamacher mit einer gewissen Genugtuung.
«Hast du nicht neulich behauptet, die junge Dame hieße Schmitt?» Als ich schwieg, auch nicht zustimmend nickte, verlor sich sein Grinsen. Seine Stimme wurde eine Spur schärfer, als ich es von ihm gewohnt war.
«Ich nehme an, du hast dafür gesorgt, dass die Lady in Red den Jugendfreund ihrer Mutter treffen konnte. Ich frage dich jetzt nicht, mit welchem Recht du dafür gesorgt und ob du darüber nachgedacht hast, dass die Weitergabe von Kundendaten an eine außenstehende Person eine fristlose Kündigung rechtfertigt. Ich will nur wissen, wer sie ist und was sie von Gerswein will.» Mir war nicht sehr wohl in meiner Haut – fristlose Kündigung. Ich wurde auch etwas heftiger, um meine Unsicherheit zu kaschieren.
«Das hat sie doch laut und deutlich gesagt, als sie hier war.» Hamacher lächelte milde.
«Ruhig Blut, Junge. Nicht gleich aufregen. Noch stehst du ja nicht auf der Straße. Also, gesagt hat sie, ihre Mutter hätte nur noch kurze Zeit zu leben. Aber wenn mir so ein kleines Luder von der sterbenden Mutter erzählt und dabei ständig am Rocksaum zupfen muss, damit mir nicht der Kragen zu eng wird, wenn das Röckchen sogar noch höher geschoben wird, weil ich nicht gleich anspringe, dann werde ich vorsichtig.»
«Sie versucht es eben mit ihren Mitteln», sagte ich.
«Wann hat Gerswein den Auftrag erteilt? Am Freitag?» Wieder bekam ich keine Antwort. Hamacher grinste.
«Na, bei dir scheint sie mit ihren Mitteln ja Erfolg zu haben. Aber vorerst stelle ich die Fragen. Da sie bei dir wohnt, nehme ich an, dass
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