Ein süßer Sommer
Familiennamen zu korrigieren, wozu denn? Er hatte ihr die Bitte doch abgeschlagen. Mit welcher Berechtigung ich mich anschließend bemüht hatte, ihren Wunsch zu erfüllen, wollte er zwar nicht wissen. Ich erklärte es ihm trotzdem – mit Erika Jungblut. Damit war der fristlosen Kündigung die Grundlage entzogen – solange Hamacher niemanden nach Aachen schickte und in Erfahrung brachte, dass Frau Studienrätin schon seit keinen Kontakt mehr mit Gerswein pflegte. Aber dem ließ sich vorbeugen, ich musste ihm nur begreiflich machen, dass die Lehrerin dem Herrn Ministerialrat nichts Übles wollte und mir aus schierem Mitgefühl für eine Sterbende seine Geheimnummer verraten hatte. Ich konnte es zu diesem Zeitpunkt schon genauso gut wie Candy: Halbe Wahrheiten und ein paar Tatsachen unter den Tisch gekehrt. Dabei musste ich nicht fortwährend flunkern, nur den Anfang erfinden und das Ende meiner Bemühungen weglassen. Die Mitte entsprach weitgehend der Wahrheit. Dass ich keine Ahnung gehabt hatte, dass Candy unseren Stammkunden suchte. Dass mich der Vermieter in Köln-Sülz an die ehemalige Kommilitonin verwiesen hatte und so weiter. Als ich zum Ende kam, erkundigte Hamacher sich mit einem Hauch von Ironie:
«Warum war die Kleine überhaupt bei mir?»
«Weil sie nicht weiß, was ich beruflich mache», sagte ich.
«Und weil sie sich in den Kopf gesetzt hatte, das aus eigener Kraft oder wenigstens mit ihrem selbst verdienten Geld zu schaffen. Ich musste ziemlich lange auf sie einreden, ehe sie mir das Bildchen vom Porschefahrer überließ.»
«Und wie habe ich mir das Szenario in Hamburg-Blankenese vorzustellen?», wollte Hamacher wissen.
«Ihre Mutter hat nur noch wenige Wochen zu leben, und sie vertreibt sich die Zeit mit einem Freund in Köln. Die Familie weiß von nichts, was hat sie denen denn erzählt, als sie sich verabschiedete?» Das belauschte Telefongespräch schoss mir unvermittelt durch den Kopf.
«Hallo, Mami, wie geht es dir? – Wir sind noch in Paris.» Und sich bei Tante Gertrud in Augsburg einer alten Reisetasche bemächtigt, aber nicht an Tante Gertruds Schreibtisch gewesen. Europatrip, dachte ich und fühlte eine leichte Beklemmung, weil mir plötzlich, wenn auch nur für ein paar Sekunden, etwas an ihrem Verhalten merkwürdig vorkam. Ihr Ausbruch von Verzweiflung nach diesem Telefonat. Seit sie wusste, wer Mamis Herz war, schien sie sich mit Mamis Tod abgefunden zu haben. Aber nun war ja auch ich da. Und unsere gemeinsame Zukunft zu planen, half ihr vielleicht, tröstete sie schon im Voraus über Mamis Tod hinweg. Was wusste ich denn, wie ein neunzehnjähriges Mädchen mit dem Verlust eines geliebten Menschen umging, wenn es plötzlich selbst die große Liebe fand? Mit ein bisschen männlicher Eitelkeit lässt sich vieles erklären. Abgesehen davon war Candy doch immer weggeschickt worden, wenn es mit Mami kritisch wurde, hatte sie erzählt. Und ich erzählte Hamacher, dass Mami und Dad wohl der Meinung seien, Candy müsse sich nicht wochenlang ein qualvolles Sterben anschauen. Es reiche völlig, wenn sie die letzten Tage mitbekäme. Hamacher nickte nachdenklich.
«Na schön», meinte er noch einmal.
«Auch wenn keiner dafür bezahlt, schauen wir uns die Hamburger Adresse mal an und sehen zu, was wir über den Gesundheitszustand der Mutter in Erfahrung bringen. Das heißt nicht, dass ich dir nicht glaube. Wenn du da schon Tee getrunken hast, wird es wohl Blankenese sein. Aber ich gehe auf Nummer sicher, das verstehst du hoffentlich.»
«Werden Sie Gerswein informieren?», fragte ich.
«Oder haben Sie das schon getan?» Hamacher zuckte kaum merklich mit den Achseln. Das war kein Ja und kein Nein.
«Ich muss ihm nicht auf die Nase binden, dass einer meiner Mitarbeiter das Mädchen nach Kräften unterstützt hat. Aber er zahlt schließlich dafür, dass ich ihn informiere – über die Lehrerin. Was die Familie angeht, daran scheint er nicht interessiert. Das wird auch einige Tage dauern, ehe ich im Bilde bin. Im Moment ist keiner da, den ich nach Hamburg schicken könnte. Ich muss mal sehen, ob ich jemanden aus Frankfurt abziehen kann, der hier für Philipp oder Uli einspringt. Die haben beide schon für Gerswein gearbeitet und wissen, worauf es ankommt. Er wird sich zurückhalten, bis er unseren Bericht über die Lehrerin hat. Das macht er ja immer so.»
«Diesmal nicht», sagte ich.
«Sie treffen sich heute Abend wieder. Ich wäre dann gerne in ihrer Nähe.» Hamacher schüttelte den
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