Ein süßer Sommer
Andeutung, allmählich wurde es ja höchste Zeit dafür. Doch als ich die Wohnung betrat, telefonierte sie gerade, legte beschwörend einen Finger an die Lippen, damit ich nur ja keinen Laut von mir gab, und sagte noch:
«Ja, natürlich habe ich Zeit. Ich habe auch schon eine halbe Seite geschrieben. Dann bis Mittwoch.» Nachdem sie aufgelegt hatte, erklärte sie, was ich mir schon dachte. Es sei Gerswein gewesen, er wolle sie am Mittwochabend noch einmal treffen und den Artikel für die Schülerzeitschrift lesen. Daraufhin verschob ich meine Andeutung. Wie sollte ich ihr auch erklären, dass ich sie beschwindelt und warum ich die Mär vom Steuerberater die ganze Zeit aufrecht erhalten hatte? Vielleicht könnte ich ihr später, wenn sie wieder in Hamburg war, erzählen, ich hätte wegen der vielen Überstunden gekündigt und mir einen anderen Job gesucht, dachte ich. Dienstags wollte ich Hamacher bitten, für den Mittwoch eine andere Einteilung vorzunehmen. Zum einen war nicht anzunehmen, dass Candy die halbe Nacht mit Gerswein verbrachte, sodass ich eine Erklärung für mein langes Ausbleiben erfinden müsste. Zum anderen wollte ich ihr diesmal unbedingt folgen – und im Notfall zur Stelle sein. Ihr Hinweis, anheizen sei erlaubt, gefiel mir ganz und gar nicht. Wenn Gerswein sich nach dem Anheizen nicht mit einem Nein abspeisen ließ, wenn er zudringlich wurde, was sollte sie gegen ihn ausrichten? Sie war doch so klein, so zierlich, so zerbrechlich. Was spielte es schon für eine Rolle, dass sie einen Rucksack voller Konserven schleppen konnte? Jetzt war sie mein, wollte mich heiraten und Babys von mir bekommen. Wenn er sie anrührte, würde ich ihm das Genick brechen. Aber Hamacher fuhr am Dienstag in aller Herrgottsfrühe nach Frankfurt. Als ich in der Agentur eintraf, war er schon unterwegs – und der Beschützer längst abkommandiert. Was ich allerdings nicht erfuhr. Hamacher ging es auch weniger um Candys Wohlergehen, er sorgte sich nur um die Sicherheit seines Stammkunden. Abends nahm ich im Labor einen prall gefüllten Umschlag mit hundertzwanzig Fotos in Empfang. Großformatige Aufnahmen, noch größer als die Seiten in Helgas Tagebuch. Dafür, dass mein Apparat für solche Zwecke ungeeignet und ich ziemlich betrunken gewesen war, waren sie erstaunlich scharf. Da ich mittwochs den halben Tag frei hatte und Candy nicht wieder etwas von abzufeiernden Überstunden erzählen mochte, die ich dann vielleicht in der Nacht dranhängen müsste, wollte ich mich am nächsten Tag im Büro an die Übersetzung machen. Im Schreibtisch deponieren mochte ich den Umschlag aber nicht, weil die Gefahr bestand, dass Philipp, Uli oder Hartmut Bender, der ja auch wieder im Einsatz war – ich wusste nur nicht, in welcher Angelegenheit –, dass jedenfalls einer meiner Kollegen sich in der Zwischenzeit an den Schreibtisch setzte. Jeder hatte zwar sein eigenes Schubfach, doch keins war abgeschlossen. Bisher waren wir da auch nicht kleinlich gewesen. Aber jetzt musste keiner der Herren in meinem Schubfach nach Zigaretten oder einem Feuerzeug suchen, den Umschlag entdecken und Fragen stellen oder gar den Code austüfteln. Also nahm ich die Fotos mit heim, das Risiko der Entdeckung schien mir in meiner Wohnung nur halb so groß. Ich erwartete einen liebevoll gedeckten Tisch und ein köstliches Abendessen, hatte Candy am Morgen gesagt, um welche Zeit ich heimkäme, später Termin mit einem wichtigen Kunden. Und sie war nicht da – zum ersten Mal nicht. Es war wie ein kalter Guss. Auch wenn ich kaum erwarten durfte, dass sie mich täglich bekochte, meine Wohnung putzte, meine Hemden wusch und auf mich wartete, sie nicht anzutreffen und nicht zu wissen, wo sie war, ließ meine Gedanken unwillkürlich Purzelbäume schlagen. Vielleicht machte sie nur einen Spaziergang, das Cranachwäldchen lag ja in der Nähe. Und so ein milder Sommerabend am Rheinufer war bestimmt schön. Vielleicht hatte aber auch Gerswein im Laufe des Tages noch einmal angerufen und das Treffen auf den heutigen Abend verschoben. Warten. Auch eine ganz neue Erfahrung. Und völlig unbekannte Gefühle dabei. Eifersucht. Damit hatte ich noch nie zu kämpfen gehabt. Um mich nicht in einem aussichtslosen Kampf zu verlieren, setzte ich mich mit den Fotos, einem Schreibblock und einem Stift ins Schlafzimmer, wo ich alles schnell verschwinden lassen konnte, wenn ich den Schlüssel in der Wohnungstür hörte. Zuerst fertigte ich mir zwei Schablonen an, jeweils das Alphabet von
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