Ein süßer Sommer
Aufschluss verschafft hätte. Hartmut hatte aus Zeitmangel oder auf Anordnung von oben keinen schriftlichen Bericht verfasst. Hamacher war unterwegs. Frau Grubert wusste angeblich von gar nichts, nicht einmal, ob ich heute überhaupt arbeiten sollte. Tamara durfte mir nichts zu lesen geben, zwinkerte nur kumpelhaft und wisperte:
«Alles in Ordnung, Michael. Ich habe Namen eingesetzt, auch Leo, Erika und Holger, der kommt allerdings erst sehr spät ins Spiel. Nachnamen habe ich weggelassen, sonst fällt es auf. Das arme Mädchen hat ja noch nicht einmal die Anfangsbuchstaben der Familiennamen geschrieben. Aber diese Frau Jungblut stellt keine Gefahr für Gerswein dar, soweit ich das mitbekommen habe. Kein Kontakt zur linken, rechten oder sonst einer Szene. Die Frau ist nur damit beschäftigt, ihre Schüler zu drangsalieren.» Im Laufe des Vormittags schneite ein mir unbekannter Kollege aus Frankfurt herein, der sofort wieder aufbrach, um die Witwe zu belauschen. Daraus zog ich den Schluss, dass Philipp Assmann auf dem Weg nach Hamburg war. Uli Hoger kam nämlich am frühen Nachmittag, um den Frankfurter abzulösen. Ich war nicht eingeplant und fuhr nach Hause. Bevor ich die Wohnung betrat, ging ich in den Keller und hörte das an meine Telefonleitung geklemmte Band ab. Ich wünschte mir, Candy hätte mit Mami gesprochen, aber es war kein einziger Piepser zu hören. Ich legte es zurück und fuhr mit dem Aufzug hinauf. Candy bemerkte mit einem Blick, dass mit mir etwas nicht in Ordnung war.
«Du bist blass, Mike. Fühlst du dich nicht wohl?» Nein, aber nach einem angeblich ausgiebigen Zechgelage und nur wenigen Stunden Schlaf durfte ich mich mies fühlen.
«Soll ich dir einen Kaffee machen, oder willst du dich lieber hinlegen? Ich glaube, es ist besser, wenn du dich hinlegst.»
«Nein, mach mir einen Kaffee», sagte ich. Das tat sie, servierte im Wohnzimmer. Ich musste mich auf die Couch setzen und ein bisschen nach vorne rücken. Sie nahm hinter mir auf der Rückenlehne Platz, zog meinen Kopf in ihren Schoß und massierte mir die Stirn, die Schläfen, die Kopfhaut, erst mit den Fingern, dann beugte sie sich vor und hauchte mir eine Unzahl Küsse auf die angeblich schmerzenden Partien. Und dabei baumelte die Weltkugel neben meiner linken Wange. Ich dachte an Hartmut Bender, der jetzt irgendwo draußen im Wagen saß, mithörte und aufzeichnete. Das wäre dann bestimmt für unsere Damen ein ebenso ergiebiges Thema wie
«unser Frühchen». Mit dem Hinweis, dass es mir schon viel besser ginge und ich nur noch ein heißes Bad brauchte, um richtig fit zu werden, brachte ich Candy dazu, den Anhänger in die kleine Schachtel zu packen und diese in einem der Küchenschränke zu deponieren. Sie ging mit mir in die Wanne. Danach wollte sie ins Bett.
«Leg dich hin, Mike. Ich verwöhne dich noch ein bisschen.» Mit wahrer Entdeckerfreude ging sie ans Werk, erkundigte sich zwischendurch, wie mir dies oder das gefalle und ob es so gut sei. Solche Fragen, von Männern gestellt, kommen bei Frauen nie gut an. Ich fand sie auch nicht sehr erbauend, kam mir vor wie ein Versuchskaninchen. Freitags war ich wieder im Einsatz. Hamacher hatte sich gnädig gezeigt, ich durfte zu den für Steuerberater üblichen Bürostunden arbeiten, von neun bis fünf, Samstag und Sonntag frei. Da mussten Uli Hoger und der Frankfurter Kollege meine Arbeit mittun. Aber niemand beschwerte sich – jedenfalls nicht bei mir. Als Uli mich ablöste, fragte ich ihn, ob Philipp sich schon aus Hamburg gemeldet hätte.
«Keine Ahnung», sagte Uli. Frau Grubert drückte es kurz darauf etwas anders aus. Chefsache. Alle Berichte nur an Herrn Hamacher persönlich. Und mit Berichten war es damals nicht so einfach, bei all der Technik, die uns zur Verfügung stand. Wer aus einer anderen Stadt anrufen wollte, musste eine Telefonzelle suchen oder den Apparat im Hotelzimmer benutzen. Wer den ganzen Tag unterwegs war, um ein Villengrundstück in Hamburg- Blankenese zu beobachten und etwas über die Bewohner in Erfahrung zu bringen, kam erst spätabends ins Hotel. Wir zogen solche Erkundigungen nämlich nicht bei Einwohnermeldeämtern ein. Ich glaube, das sagte ich auch schon mal. Da wusste ja niemand etwas über die Gesinnung der Betreffenden oder verdächtige Kontakte. Und wenn der Chef ebenfalls viel unterwegs und telefonisch nicht so einfach zu erreichen war, konnte das dauern. Aber ein gutes Zeichen war es nicht, fand ich. Philipp musste meiner Zeitrechnung nach am
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