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Ein süßer Sommer

Ein süßer Sommer

Titel: Ein süßer Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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eines renommierten Meinungsforschungsinstituts – bei der Nachbarschaft eingezogen. Mit der Masche funktionierte es immer. Man stellte Fragen zum vorgegebenen Thema, ließ beiläufig ein paar anerkennende Bemerkungen zum Häuschen und der Umgebung einfließen und kam nach dem Motto: Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, zum Kernpunkt. Die Nachbarin lebte in Frieden. Nette Leute, die Schmittings, hatte sie gesagt, ruhig, freundlich, umgänglich, ganz normale Leute, die sich in Deutschland wohl fühlten, weil es hier doch ganz anders zuging als in Amerika. Sozialstaat und so weiter, nicht diese Ellbogenmentalität wie in den Staaten, wo die Schmittings lange gelebt hatten. Gut, die Steuern waren entschieden zu hoch, aber darüber fluchte ja jeder, der Steuern zahlen musste. Philipp hatte die vier Personen einmal um einen Tisch auf einer Terrasse versammelt abgelichtet. Der Nachmittagstee. Den ich angeblich schon einmal mitgetrunken hatte. Glück gehabt, bei Schmittings gab es nachmittags immer Tee und Napfkuchen. Hamacher unterzog mich einem Test, schob mir das Foto zu und wollte die Personen identifiziert haben, um festzustellen, ob ich die Familie tatsächlich kannte. Aber ich hatte sie ja alle in Candys Album gesehen. Auch wenn sie da zwanzig Jahre jünger gewesen waren, ich erkannte sie wieder. Die ältere Frau musste Margarete sein, Gertrud war nämlich ein spindeldürres Geschöpf und Margarete schon damals sehr kräftig. Der jüngere Mann hieß Rüdiger. Er trug einen Vollbart, was es erschwerte, sein Alter zu schätzen. Ich hielt ihn für Dad. An Vetter Rudy dachte ich nicht mehr, mein Gott, ich hatte den Namen nur einmal von Frau Scherer gehört. Und dass ich Candys Vater nicht mit Vornamen kannte, war nicht verräterisch. Man sagte schließlich nicht, mein Dad Rüdiger. Man sagte nur Tante Margarete und Onkel Ted oder Ed. Der ältere Mann wurde Ed gerufen, die jüngere Frau ausschließlich mit dem Kosewort Liebes – zumindest an dem Nachmittag, auf den sich der Teil des Berichts bezog, den Hamacher mit mir durchging. Er ließ mich nicht den kompletten Bericht lesen und sich durch die Übereinstimmungen beschwichtigen. Das wäre jedem anderen auch passiert. Auf dem Foto saßen Ed, Margarete und Rüdiger in Korbsesseln, Liebes lag auf einer dick gepolsterten Liege und war den hochsommerlichen Temperaturen zum Trotz mit einer karierten Wolldecke zugedeckt bis zum Hals. Sie wirkte unförmig, aufgeschwemmt, vielleicht von Medikamenten – oder vom Darmkrebs. Candy hatte doch behauptet, jetzt sei es der Darm. Über der karierten Decke ein aufgedunsenes Gesicht, umrahmt von feinem, sehr hellem Haar. Und ich sah im Geist das scheue Lächeln von Helga und die Abgezehrtheit von Helga . Natürlich hatte sich dieses Gesicht mit den Jahren und unter dem Einfluss ihrer schweren Krankheit verändert. Aber Zweifel, nein, Zweifel hatte ich nicht die geringsten. Um den Hals trug Liebes ein Kettchen, daran hing ein Buchstabe, der über der Wolldecke lag und unter einer Lupe deutlich als H zu erkennen war – wie auf dem Weihnachtsfoto von .
    «Sie sieht jünger aus als zweiundvierzig», meinte Hamacher.
    «Aber gesund sieht sie wahrhaftig nicht aus.» Während sie Tee tranken und Napfkuchen aßen, hatten sich die vier unterhalten. Philipp hatte über Richtmikrophon mitgehört und Notizen gemacht. Aufgezeichnet hatte er nicht, sonst hätten wir eine Vergleichsmöglichkeit gehabt. Auf dem Band, das an meiner Telefonleitung hing, waren ja auch ein paar Sätze von Mami. Von Krankheit und Tod war nicht die Rede gewesen, nur mal andeutungsweise von Schmerzen.
    «Liegst du bequem, Liebes? Was macht dein Rücken? Ist es besser?» Ansonsten hatten sie hauptsächlich über
    «unsere Kleine» gesprochen. Ed sorgte sich, weil die Kleine so wenig von sich hören ließ, man ihre Angaben nicht überprüfen konnte und nicht wusste, ob sie sich nun tatsächlich in guter Gesellschaft befand. Margarete bemängelte die Schreibfaulheit der Kleinen. Eine Postkarte könnte sie doch mal schicken, dann wüsste man wenigstens, ob sie tatsächlich in Spanien sei. Rüdiger wies darauf hin, dass junge Mädchen anderes im Kopf hatten als Ansichtspostkarten. Daraufhin war auch einmal ihr Name gefallen. Liebes hatte gesagt:
    «Ihr könnt sie nicht ständig in Watte packen. Candy ist alt genug und weiß, was sie tut. Ehe sie jemandem die Hand gibt, schaut sie ihn sich sehr genau an.» Genau das hatte Candy zu Mami gesagt. Ich hätte losbrüllen

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