Ein süßer Sommer
mich einen blinden Idioten. Und ich wollte nicht unnötig in einer Wunde stochern, auch nicht zugeben, dass ich in ihren Sachen geschnüffelt und Helgas Tagebuch übersetzt hatte. Vielleicht hatte sie sich in den letzten Tagen ja an den Gedanken gewöhnt, dass sie in ihrer Familie all die Jahre gut aufgehoben gewesen war. Dad mochte ein Schussel sein, aber sie war doch sein Darling. Und ein widerlicher Schleimer wie Gerswein lohne keinerlei Mühe. Sie schien dankbar, dass ich das Thema auf sich beruhen ließ, und besessen von dem Gedanken, mir zu beweisen, wie sehr ich ihr gefehlt hatte. Dass sie anders war, fiel mir wohl auf, und mir fiel dazu immer nur ein Ausdruck ein. Unersättlich. Beginnend mit dem:
«Bist du sehr hungrig, Mike? Ich habe zwei gute Steaks besorgt, die sind bestimmt schnell fertig.» Ich war nur hungrig nach ihr, hatte sie ja ebenfalls vermisst. Wir aßen irgendwann am frühen Nachmittag – kalte Ravioli direkt aus der Dose, tranken Cola dazu, gingen danach wieder ins Bett. Sie war so randvoll mit Zärtlichkeiten und den atemlosen Beteuerungen ihrer Liebe, als müsse sie sich selbst und aller Welt beweisen, dass ich der Mann ihres Lebens war, die ganze Nacht hindurch und den Sonntag. Die Steaks aßen wir erst am Sonntagabend. Ich bereitete sie zu. Und montags fuhr ich in die Agentur. Frau Grubert erinnerte mich zuerst an die Weltkugel. Die hätte ich eigentlich mitbringen sollen. Davon hatte Hartmut am Samstag nichts gesagt. Ich fragte mich kurz, wie sie sich das vorstellte. Sollte ich ein
«Geschenk» zurückfordern? Ich wollte bei einem Juwelier ein Duplikat anfertigen lassen, ohne Elektronik, versteht sich, und die beiden Kugeln austauschen. Dann sagte Frau Grubert:
«Herr Hamacher erwartet Sie in seinem Büro.» Ich dachte, er wolle einen Bericht aus Frankfurt oder einen neuen Auftrag besprechen. Aber als ich sein Büro betrat, lag das verfluchte Aufnahmegerät auf seinem Schreibtisch. Er grinste nicht, als er fragte:
«Du weißt, was da drauf ist? Ein bisschen Liebesgeflüster, das ich nicht hören sollte.» Er grinste auch nicht, als ich sagte:
«Ja, mein Gott, platonische Beziehungen können sich ändern, wenn man eine Weile zusammenlebt. Das betrachte ich als meine Privatsache.» Hamacher nickte, zeigte auf einen Sessel und verlangte:
«Setz dich. Dein Liebesgeflüster interessiert mich nicht.» Dann drückte er die Wiedergabetaste und erklärte noch:
«Sie hat insgesamt sechs Gespräche geführt, das letzte am Freitag.» Logisch, da hatte ich sie ja zuletzt angerufen, um ihr zu sagen, dass ich erst samstags heimkäme. Damit hatte ich ihr kein Betriebsgeheimnis verraten. Ich verstand nicht, worüber Hamacher sich aufregte, hörte ihre Stimme vom Band. Sie meldete sich mit einem leicht atemlosen:
«Hallo.» Dann ordnungsgemäß:
«Hier bei Schröder.» Genau so hatte sie meinen Anruf entgegengenommen. Ich erwartete, als Nächstes meine eigene Stimme zu hören. Doch was dann kam, hatte nicht ich zu ihr gesagt.
«Ich bin’s, Mäuschen. Ich störe dich doch hoffentlich nicht?» Mäuschen! Ich hatte ihn noch nie reden hören, kannte seine Stimme nicht. Hamachers Miene machte mir klar, wer da zu ihr sprach. Im ersten Augenblick war es ein Gefühl, als ob mir das Gehirn einfrieren würde.
«Nein», sagte Candy sehr zurückhaltend. Darauf wieder er, um einen jovialen Tonfall bemüht:
«Du klingst ein bisschen verschnupft, Kleines. Kannst du nicht offen reden? Ist dein Bruder schon da?» Noch ein Nein, sehr kühl diesmal, fast schon abweisend.
«Er kommt erst morgen.» Ich rief mich mit Gewalt zur Ordnung. Mäuschen, Kleines, was bedeutete das schon? Vielleicht wusste er inzwischen, wer sie war. Wenn er mit Erika Jungblut gesprochen hatte. Und warum sollte nicht ein Vater seine Tochter mit derartigen Kosenamen ansprechen? Da sprach er weiter:
«Jetzt mach es mir doch nicht so schwer, Kleines. Da bin ich nun fest entschlossen, dir einen Vorschlag zu machen, von dem ich annehme, dass er dir gefallen wird, und du bist so kurz angebunden. Ich habe noch einmal über all das nachgedacht, was du mir am Mittwoch gesagt hast. Du hast ja Recht, in jedem Punkt hast du Recht. In deinem Alter gibt man sich nicht mit den Bröckchen zufrieden, die andere übriglassen. Da will man mehr, da will man alles. Und du sollst es bekommen, Mäuschen, alles. Wir sollten noch einmal in Ruhe darüber reden. Das müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht eine Lösung finden. Was hältst du von einer
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