Ein süßer Sommer
hatte sich wirklich Mühe gegeben und nach eigenem Gutdünken, ohne Anhaltspunkte, wer mit all den einzelnen Buchstaben gemeint sein könnte, schöne Namen erfunden. Ich hoffte nur, dass Hamacher das Märchenbuch nicht gelesen hatte. Und zurück in die Trostlosigkeit. Weihnachten bei Mutter in Hamburg. Gertrud und Paul – wenigstens ein Treffer – waren auch da. Vom schönen Holger immer noch kein Wort. Aber dann entdeckte ich ihn. Und mit ihm einen ganz neuen Aspekt. Erstmals erlebt hatte Helga den späteren Ministerialrat im März – in seiner Eigenschaft als Werber für politischen Nachwuchs. Was er so von sich gab, war ganz in ihrem Sinne. Von den umstürzlerischen Gedanken ihrer Mitstudenten hielt sie ja auch nichts. Sein Vortrag war ein kleiner Lichtblick in ihrem trostlosen Dasein. Natürlich besprach sie es gleich mit Leo. Sie hätte den genialen Redner gerne näher kennen gelernt, wusste jedoch nicht, wie sie das bewerkstelligen sollte, hätte sich nie getraut, einen Mann anzusprechen. Und dann geschah das Wunder. Mit dem . Mai waren immerhin anderthalb Seiten gefüllt – Computerausdruck. Das mussten drei oder vier Fotos gewesen sein. Anfangs war dieser . Mai ein scheußlicher Tag gewesen. Helga war ganz unerwartet unpässlich geworden. Und als sie aus dem Waschraum trat, kam ganz zufällig dieser tolle Redner des Wegs. Welch ein Glück aber auch. Dabei war es in den ersten Minuten entsetzlich peinlich. Er sah, dass sie unpässlich geworden war, weil sie die Flecken nicht völlig aus ihrem Rock hatte entfernen können und dieses Kleidungsstück nun ziemlich nass war. Darüber hinaus hatte Helga einen Packen Toilettenpapier lose in ihre ebenfalls nasse Unterwäsche gelegt – und ging damit wohl wie auf Eiern. Anteilnehmend erkundigte der tolle Mann sich, ob er ihr behilflich sein dürfte. Dann machte er sich auf, ihr ein Päckchen Binden zu besorgen. Sie war so hingerissen von dieser unerwarteten Begegnung, schwärmte wie ein unreifer Teenager, und das war sie wohl auch, trotz ihrer zweiundzwanzig Jahre. Zum Dank für seine uneigennützige und für einen Mann so untypische Hilfsbereitschaft hatte Helga ihn auf einen Tee in die Mensa einladen wollen. Wobei ihr das Herz in der Kehle schlug und sie noch im Nachhinein nicht wusste, woher sie den Mut genommen hatte. Ein Viertelstündchen in der Mensa konnte der schöne Holger wohl nicht erübrigen, vielleicht war auch der Tee dort nicht nach seinem Geschmack. Er bat um eine Stunde am Nachmittag. Helga fasste ihr Glück gar nicht. In einem Café hatten sie sich getroffen und so gut unterhalten, über Gott und die Welt, Familie und Sehnsucht. Er war voller Verständnis für sie, ihre Ängste und die Hoffnung, dem Leben doch noch eine schöne Seite abgewinnen zu können, fern der Heimat und der Geborgenheit einen Menschen zu finden, der zu ihr gehörte. Als sie sich verabschiedeten, hatte er behauptet, sich noch niemals so gut mit einer Frau unterhalten zu haben. Natürlich hatte er auf Anhieb eine geistige Verwandtschaft festgestellt. Er dachte ja genauso wie Helga und verabscheute die jungen Wilden, die nichts anderes im Sinn hatten als Sex. Er träumte von einer Frau, die sich für die große Liebe aufsparte. Die Richtige hatte er noch nicht gefunden und es nicht versäumt, gleich die nächste Verabredung zu treffen, damit man weitere Gemeinsamkeiten entdecken könne. Die Schwärmereien setzten sich über etliche Seiten fort. Mal ein Cafébesuch, bei dem er verstohlen unter dem Tisch Helgas Hand hielt und allein damit Sicherheit, Ruhe und Wärme vermittelte. Mal ein Spaziergang am Rheinufer, bei dem Helga seinen Arm um ihre Schultern und sich geborgen fühlen durfte. Mal eine Autofahrt über Land, bei der er versehentlich ihr Knie streifte, was in ihr diese süße Schwäche auslöste. Sie hätte Kitschromane schreiben sollen, der Ton passte dazu. Holger ließ ihr so viel Zeit, obwohl er schon in den ersten Minuten vor dem Waschraum diesen Gleichklang ihrer Seelen gespürt hatte, bedrängte er sie nicht um einen Beweis ihrer Liebe. So unendlich viel Zeit. Ganze vier Wochen, in denen er ihre Hingabefähigkeit kitzelte, bis sie ihm wie eine überreife Frucht direkt in den Schoß fiel. Es war an einem Juniabend passiert. In ihrer geschwollenen Ausdrucksweise hatte Helga jeden seiner Handgriffe festgehalten. Zelebriert hatte der schöne Holger die Angelegenheit unter freiem Himmel, im Cranachwäldchen, was für Helga auf der einen Seite vollendeter Genuss
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