Ein süßer Traum (German Edition)
schwierig waren, aber sie hatte den Verdacht, dass man dasselbe von ihr sagen konnte. Manchmal war es wirklich schwierig, wenn das Unrecht der Welt auf ihr lastete. Colins Vorwurf war durchaus zutreffend gewesen: Sie glaubte an den Fortschritt und daran, dass sture Beharrlichkeit beim Angriff auf die Ungerechtigkeit alles in Ordnung bringen würde. Nicht wahr? Zumindest manchmal? Es gab kleine Triumphe, auf die sie stolz sein konnte. Und wenigstens war sie nie in die luftigen Höhen des überaus modischen Feminismus entfleucht: Sie war nie imstande gewesen, wie Julie Hackett einen tränenreichen Wutanfall zu bekommen, wenn sie im Radio hörte, dass eine weibliche Mücke für Malaria verantwortlich war. »Diese Arschlöcher. Diese verdammten faschistischen
Arschlöcher
.« Als Frances sie schließlich überzeugt hatte, dass das eine Tatsache war und keine Verleumdung, die Wissenschaftler erfunden hatten, um das weibliche Geschlecht mundtot zu machen – »Tut uns leid, das ist geschlechtsspezifisch« –, weinte sie nur noch hysterisch und sagte: »Das ist alles so verdammt
ungerecht
.« Julie Hackett blieb dem
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weiterhin treu ergeben. Zu Hause trug sie
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-Schürzen, trank aus
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-Bechern, benutzte
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-Geschirrtücher. Sie war imstande, vor Wut zu weinen, wenn jemand ihre Zeitung kritisierte. Sie wusste, dass Frances nicht so
engagiert
war wie sie – ein Wort, das ihr gut gefiel –, und hielt ihr oft kleine Predigten, um ihr Denken zu verbessern. Frances fand sie unendlich öde. Aficionados der schelmischen Tricks, die das Leben sich einfallen lässt, haben diese Figur sicher schon wiedererkannt, die uns so oft begleitet, die immer und überall auftaucht, ein Schatten, auf den wir verzichten könnten, aber da ist sie schon, oder er, eine spöttische Karikatur des eigenen Ichs, aber – ja, auch ein heilsamer Mahner. Immerhin war Frances auf Johnnys windige Rhetorik hereingefallen, der große Traum hatte sie verzaubert und um den Verstand gebracht, und das hatte seither ihr Leben bestimmt. Sie hatte sich einfach nicht befreien können. Und jetzt arbeitete sie an zwei oder drei Tagen in der Woche mit einer Frau, für die der
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dieselbe Rolle spielte wie die Partei für ihre Eltern, die immer noch orthodoxe Kommunisten waren und stolz darauf.
Manche Leute glauben inzwischen, dass es unser – der Menschen – größtes Bedürfnis ist, etwas oder jemanden hassen zu können. Jahrzehntelang hatten Ober- und Mittelschicht diese hilfreiche Funktion erfüllt, und das hatte ihnen (in kommunistischen Ländern) den Tod gebracht, Folter und Gefangenschaft. Und in gemäßigteren Ländern wie Großbritannien hatte es ihnen Beschimpfungen oder lästige Pflichten eingetragen, wie die, sich einen Cockney-Akzent zulegen zu müssen. Aber jetzt zeigte diese Überzeugung Zeichen der Abnutzung. Das neue Feindbild, die Männer, war sogar noch hilfreicher, denn es bezog die halbe Menschheit mit ein. Von einem Ende der Welt zum anderen saßen Frauen über Männer zu Gericht, und wenn Frances mit den Frauen vom
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zusammen war, hatte sie das Gefühl, einer ausschließlich weiblichen Jury anzugehören, die gerade als einstimmiges Urteil ein Schuldig verhängt hat. Sie saßen in freien Momenten herum, waren vollkommen im Recht und erzählten sich Anekdoten über die Grobheit dieses Mannes oder die Schandtat jenes Mannes, sie tauschten ironisch kommentierende Blicke aus, sie pressten die Lippen zusammen und zogen die Augenbrauen hoch, und wenn Männer anwesend waren, suchten sie nach Beweisen für ihr falsches Denken und stürzten sich dann darauf wie die Katze auf den Spatz. Nie hatte es selbstgefälligere, selbstgerechtere, weniger selbstkritische Leute gegeben. Doch das war im Grunde nur ein Stadium in dieser Welle der Frauenbewegung. Für die Anfänge des neuen Feminismus in den sechziger Jahren gab es keinen besseren Vergleich als den mit einem kleinen Mädchen auf einem Fest, das verrückt vor Aufregung mit scharlachroten Wangen und glasigem Blick herumtanzt und kreischt: »Ich habe keinen Schlüpfer an, kannst du meinen Hintern sehen?« Drei Jahre alt, und die Erwachsenen tun so, als würden sie es nicht sehen: Das wächst sich aus. Und das tat es auch. »Was,
ich
? So etwas habe ich nie gemacht … Na gut, ich war doch noch ein Baby.«
Bald setzte Ernüchterung ein, und wenn ärgerliche Selbstgerechtigkeit der Preis für stichhaltige Werte war, dann war sie sicher ein geringer Preis für
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