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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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geschnitten. »Du lieber Gott, anscheinend sind alle aus der Buchbranche da«, hörten sie überall. Sie hatten keine Ahnung gehabt, wie beliebt Wilhelm Stein gewesen war oder wie seine Mitstreiter ihn sahen. Alle hatten das Gefühl, mit dem Begräbnis des höflichen, freundlichen und belesenen alten Buchhändlers von einer Vergangenheit Abschied zu nehmen, die viel besser gewesen war als alles, was jetzt möglich schien. »Das Ende einer Epoche«, flüsterten die Leute, und manche weinten um sie. Die beiden Söhne, die an diesem Morgen aus den Staaten eingeflogen waren, dankten den Lennox höflich für all die Mühe, die sie mit der Beerdigung gehabt hatten, und sagten, dass sie sich jetzt um alles kümmern würden: Wilhelm hinterließ ziemlich viel Geld.
    Julia blieb nun im Bett, und natürlich dachten alle, Wilhelms Tod hätte ihr den Rest gegeben, aber es gab noch etwas anderes, etwas Entsetzliches, einen Schlag für ihr Herz, den niemand in der Familie verstand.
    Als Colins zweiter Roman herauskam, war es klar, dass
Todkrank
keinen so großen Erfolg haben würde wie sein erster. Er war auch nicht so gut, denn praktisch war er ein Traktat über eine kriminelle, unverantwortliche Regierung, die es ablehnte, die Bevölkerung vor radioaktivem Niederschlag, vor Bomben und dergleichen zu schützen. Eine wirkungsvolle Propagandakampagne, die Agenten einer ausländischen feindlichen Macht geführt hatten, schuf eine hysterische Atmosphäre, in der diese Regierung, die sich um ihre Popularität sorgte, ihre Verantwortung vernachlässigte. Der Roman rief bei den verschiedenen Bewegungen, die sich mit der Atombombe befassten, Stürme der Entrüstung hervor. Manche Kritiken waren bösartig, auch die von Rose Trimble. Sie hatte sich mit ihrem Porträt von Präsident Matthew Mungozi einen Namen gemacht, viele Möglichkeiten hatten ihr offengestanden, aber sie arbeitete jetzt für die
Daily Post
, die für ihre Bösartigkeit bekannt war, und fühlte sich dort zu Hause. Sie benutzte Colins Roman als Ausgangspunkt, um diejenigen anzugreifen, die Schutzräume bauen wollten, besonders die jungen Ärzte und ganz besonders Sylvia Lennox. Was Colin anging: »Man muss wissen, dass er aus Nazi-Verhältnissen kommt. Seine Großmutter Julia Lennox war in der Hitler-Jugend.« Rose fühlte sich sicher. Zum einen kalkulierte man bei der
Daily Post
ein, öfter Entschädigungen für Verleumdung zahlen zu müssen, und außerdem wusste sie, dass Julia sich nicht herablassen würde, so eine Attacke überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. »Widerliches altes Miststück«, murmelte Rose.
    Ein Freund im Cosmo hatte Wilhelm auf diesen Artikel aufmerksam gemacht. Er beriet sich mit anderen, ob er ihn Julia zeigen solle, und beschloss, es zu tun: Aber das spielte gar keine Rolle, denn jemand, der es gut mit ihr meinte, schickte ihr den Ausschnitt anonym. »Gar nicht beachten«, hatte sie zu Wilhelm gesagt. »Sie sind einfach Scheiße. Es ist doch sicher gerechtfertigt, ihr Lieblingswort zu benutzen?« »Meine
liebe
Julia«, hatte Wilhelm gesagt, und es hatte ihn amüsiert, aber auch erschreckt, dieses Wort von ihr zu hören.
    Julia saß an ihre Kissen gelehnt da, während Schwestern kamen und gingen, und konnte ohnehin nicht schlafen, während der Ausschnitt auf ihrem Nachttisch lag. Also war sie, Julia von Arne, jetzt eine Nazi. Was so wehtat, war diese Gedankenlosigkeit. Natürlich hatte diese Frau – Julia erinnerte sich an ein unsympathisches Mädchen – nicht gewusst, was sie tat. Sie alle benutzten ständig Wörter wie Faschist, jeder, mit dem es Krach gab, war ein Faschist. Ignorant, wie sie waren, wussten sie nicht einmal, dass es wirkliche Faschisten gegeben hatte, unter denen Italien tief gesunken war. Und Nazis … es gab Zeitungsartikel, Radio- und Fernsehsendungen über
sie
, die sie sich ansah, weil sie sich so direkt betroffen fühlte, aber von diesen jungen Leuten nahm das offensichtlich niemand zur Kenntnis. Sie wussten offenbar nicht, dass Faschist und Nazi Wörter waren, die bedeuteten, dass man Menschen eingesperrt hatte, gefoltert hatte, dass sie in diesem Krieg zu Millionen gestorben waren. Es war die Ignoranz, die Gedankenlosigkeit, die Julia Zornestränen in die Augen trieb. Sie fühlte sich vernichtet, ausgelöscht: ihre Geschichte und Philips reduziert auf Beinamen, die eine ehrgeizige junge Journalistin in einem Gossenblatt benutzte. Julia saß schlaflos (sie warf heimlich ihre Schlaftabletten weg, wenn die Krankenschwestern

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