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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Hände und Gesicht damit ein, aber der Geruch war da, und sie schämte sich und fühlte sich elend. »Schrecklich, schrecklich, schrecklich«, murmelte sie, eine böse alte Hexe, die manchmal Zornestränen weinte.
    Als sie starb, fand Frances in ihrem Nachttisch den Zeitungsausschnitt, in dem stand, dass Julia Nazi-Anhängerin gewesen sei. Sie zeigte ihn Colin, und sie lachten, weil es so absurd war. Colin sagte, er werde Rose Trimble möglicherweise zusammenschlagen, wenn er sie treffe, aber Frances sagte wie Julia, sie seien es nicht wert, dass man sich um sie kümmere, diese Leute.
     
    Julias Beerdigung war nicht so herzerwärmend wie Wilhelms.
    Anscheinend war sie katholisch gewesen, aber sie hatte in der letzten Phase ihrer Krankheit nicht nach einem Priester gefragt, und in ihrem Testament stand auch nichts über ihr Begräbnis. Sie entschieden sich für einen unverbindlichen überkonfessionellen Gottesdienst, aber das kam ihnen so trostlos vor, und ihnen fiel ein, dass sie Dichtung gemocht hatte. Jemand sollte Gedichte lesen. Was für Gedichte? Andrew sah sich auf ihren Regalen um und fand dann in ihrer Nachttischschublade einen Band von Gerard Manley Hopkins. Er war zerlesen, und manche Gedichte waren unterstrichen. Es waren die »schrecklichen« Gedichte. Andrew sagte nein, es sei zu schmerzhaft, diese Verse zu lesen.
    Kein Schlimmstes, es gibt keins. Hoch über Grames höchstes hinaus …
    Nein.
    Er suchte
Die Lerche im Käfig
aus, das sie gemocht hatte, denn es war mit Bleistift angestrichen, und dann das Gedicht
Frühling und Herbst
, das an ein kleines Kind gerichtet war und so begann:
    Margaret, härmst du dich über Goldenhain, der sich entblättert …
    Dieses war auch angestrichen, aber es waren die dunklen Gedichte, die sie doppelt und dreifach mit dicken schwarzen Linien markiert und mit gezackten Ausrufezeichen versehen hatte.
    Also hatte die Familie das Gefühl, Julia zu verraten, indem sie die weicheren Gedichte aussuchte. Und sie mussten sich außerdem sagen, dass sie Julia nicht gekannt hatten, dass sie nie etwas geahnt hatten von diesen tiefschwarzen Linien neben
    Ich wache und fühle den Grimm der Nacht, nicht Tag.
    Welche Stunden, oh welch schwarze Stunden haben wir verbracht …
     
    Es sollten auch deutsche Gedichte dabei sein, aber Wilhelm war nicht da, um sie zu beraten.
    Andrew las die Gedichte vor. Seine Stimme war hell, doch für diesen Anlass kräftig genug. Abgesehen von der Familie waren wenige Leute da. Mrs. Philby stand ein ganzes Stück weit weg, ganz in schwärzestem Schwarz, vom Hut, den sie nur bei Beerdigungen trug, bis zu den Stiefeln, die glänzten und wie ein Vorwurf waren: Sie spielte weiter ihre Rolle, die darin bestand, die Familie wegen ihrer Schlampereien zu beschämen. Niemand trug Schwarz, nur sie. Ihr Gesicht war unversöhnlich in seiner Rechtschaffenheit. Aber schließlich weinte sie doch. »Mrs. Lennox war meine älteste Freundin«, sagte sie streng und vorwurfsvoll zu Frances. »Ich werde nicht mehr zu Ihnen kommen. Ich bin nur ihretwegen gekommen.«
    Als alles schon halb vorüber war, erschien eine hagere Gestalt, deren weiße Locken und weite Kleider im Wind flatterten, der um die Grabsteine wehte, und ging unsicher auf die Beerdigungsgruppe zu. Es war Johnny, düster und traurig, und er sah viel älter aus, als er war. In einiger Entfernung blieb er stehen, halb abgewandt, als würde er gleich davonlaufen. Die Worte des Gottesdienstes waren ein Affront für ihn, das war offensichtlich. Am Ende gingen seine Söhne und Frances zu ihm, um ihn ins Haus einzuladen, aber er nickte nur und stolzierte davon. Am Rand des Friedhofs drehte er sich um und grüßte sie mit der offenen rechten Hand, auf Schulterhöhe und die Handfläche ihnen zugewandt.
    Sylvia war nicht bei der Beerdigung. Die Telefonleitung zur St. Luke’s Mission war wegen eines schlimmen Gewitters unterbrochen.
     
    Inzwischen verlief Frances’ Leben mit Rupert nicht so, wie sie es erwartet hatten. Sie wohnte praktisch bei ihm, aber ihre Bücher und Papiere waren in Julias Haus. Die Wohnung war nicht groß. Das Wohnzimmer, in dem sie auch aßen, maß zusammen mit der winzigen Küche hinter einer Durchreiche nur ein Drittel von Julias. Das Schlafzimmer dagegen war ausreichend. Die beiden kleinen Zimmer gehörten den beiden Kindern, Margaret und William, die am Wochenende kamen. Als Meriel ausgezogen war, um mit einem neuen Mann, mit Jaspar, zusammenzuleben. hatte es Pläne gegeben, etwas

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