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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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verloren – gerade war ein weiteres gestorben –, und sie wusste, warum und was der wahre Grund war: nicht die »Lungenentzündung«, die als Todesursache auf den Totenscheinen stand. Also waren die beiden mit Joshua nicht blutsverwandt. Wie sinnvoll, wie schmerzlich bedeutungsvoll dieser alte Ausdruck geworden war. Sie waren beide clever, wie Joshua es von Clever behauptet hatte. Er sagte, sein Bruder sei Lehrer und seine Schwägerin Klassenbeste gewesen. Die kleinen Jungen beobachteten jede ihrer Bewegungen und ahmten sie nach, und sie betrachteten prüfend ihr Gesicht und ihre Augen, wenn sie sprach, um ihr zuvorzukommen, noch ehe sie sie um etwas bat. Sie kümmerten sich um die Hühner und um die brütenden Hennen, sie sammelten Eier ein, ohne jemals eines zu zerbrechen, sie rannten mit Wasserbechern und Medikamenten für die Patienten hin und her. Sie hockten rechts und links von ihr und sahen zu, wie sie Glieder einrenkte oder Schwellungen öffnete, und Sylvia musste sich immer wieder vor Augen halten, dass sie sechs und vier waren und nicht doppelt so alt. Sie saugten Wissen auf wie ein Schwamm. Sie gingen nicht zur Schule. Sylvia ließ sie um vier Uhr ins Haus kommen, wenn sie im Krankenhaus fertig war, und gab ihnen Unterricht. Bald kamen auch Rebeccas Kinder, und schließlich unterhielt sie eine Art kleine Vorschule. Aber als die anderen wie Clever und Zebedee auch im Krankenhaus arbeiten wollten, sagte sie nein. Warum sie sie bevorzuge, das sei doch nicht fair? Als Ausrede sagte sie, es seien Waisen. Aber es gab noch mehr Waisen im Dorf. »Ja, mein Kind«, sagte der Priester, »jetzt begreifen Sie allmählich, warum einem Afrika das Herz bricht. Kennen Sie die Geschichte von dem Mann, der gefragt wurde, warum er nach einem Sturm am Strand entlanggeht und angespülte Seesterne wieder ins Meer wirft, wo es doch Tausende gibt, die sterben müssen? Er sagte, weil die wenigen, die er retten kann, dann merken, dass sie wieder im Meer sind, und sich freuen.« »Bis zum nächsten Sturm – das wollten Sie doch sagen, Pater?« »Nein, aber vielleicht denke ich das. Und ich hätte gerne, dass Sie vielleicht auch über diese Zeilen nachdenken.« »Sie meinen, damit ich realistischer denke – wie Sie es ausdrücken, Pater?« »Ja, allerdings, so drücke ich es aus. Aber ich habe Ihnen oft genug gesagt, Sie machen sich viel mehr Illusionen, als Ihnen gut tut.«
     

Auf dem Weg wartete der Studebaker-Laster. Die alte Kiste war eine Spende der Pynes an die Mission und sollte den Missions-Lastwagen ersetzen, der schließlich seinen Geist aufgegeben hatte. Sylvia hatte Rebecca gebeten, im Dorf zu sagen, sie fahre zum Growth Point und könne hinten sechs Personen mitnehmen. Ungefähr zwanzig waren schon hinaufgeklettert. Bei Sylvia standen Rebecca und zwei ihrer Kinder – sie hatte darauf bestanden, dass sie diesmal das Vergnügen hatten und nicht Joshuas Kinder, diesmal nicht.
    Sylvia sagte zu den Leuten hinten, die Reifen seien sehr alt und könnten leicht platzen. Niemand rührte sich. Die Mission stand auf der Warteliste für Reifen, auch für gebrauchte, aber es war aussichtslos. Dann sagte Rebecca etwas in einer einheimischen Sprache, wiederholte es in einer anderen und schließlich auf Englisch. Niemand rührte sich. Eine Frau sagte: »Fahren Sie langsam, dann ist es o.k.«
    Sylvia und Rebecca sprangen mit den beiden Kindern auf den Vordersitz. Der Lastwagen setzte sich kriechend in Bewegung. Dort, wo der Weg zu den Pynes abzweigte, winkte der Koch der Pynes sie heran und sagte, er müsse zum Growth Point, es gebe nichts zu essen mehr in seinem Haus, und seine Frau … Rebecca lachte, auch hinten wurde viel gelacht, und er kletterte hinein und quetschte sich irgendwo dazwischen. Rebecca drehte sich um, um zu sehen, was hinten vorging – alle lachten und neckten den Koch; aber Sylvia würde nie erfahren, worum es ging.
    Der Growth Point lag acht Kilometer von der Mission entfernt. Die weiße Regierung hatte die Idee gehabt, dass es ein Netzwerk von Siedlungskernen geben sollte, um die herum Townships wachsen konnten: ein Laden, ein Verwaltungsbüro, Polizei, eine Kirche, eine Autowerkstatt. Die Idee war erfolgreich umgesetzt worden, und nun nahm die schwarze Regierung sie für sich in Anspruch. Niemand sagte etwas dagegen. Dieser Growth Point war noch im Embryonalstadium, aber er wuchs: Es gab ein halbes Dutzend kleine Häuser und einen neuen Supermarkt. Sylvia parkte vor dem Verwaltungsbüro, einem

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