Ein süßer Traum (German Edition)
hatten bisher alte Flaschen benutzt, Dosen, ausrangierte Küchengeräte. »Was sind das für Dinger?«, fragten die kleinen Jungen von Joshuas Bruder, und als sie es verstanden, waren sie begeistert und rannten herum und zeigten sie jedem, der sie sehen wollte.
Colin öffnete auf ein schüchternes Klingeln hin die Tür, und was er sah, hielt er für ein Bettelkind oder für eine Zigeunerin, und dann brüllte er: »Das ist Sylvia, das ist die kleine Sylvia«, und hob sie hoch und trug sie hinein. Dort umarmte er sie, und sie verteilte ihre Tränen über seine Wangen, die er an ihren rieb, wie bei der Begrüßung einer Katze.
In der Küche setzte er sie an den Tisch, an
den Tisch
, der wieder zu seiner vollen Länge ausgezogen war. Er goss eine Weinflut in ein großes Glas und setzte sich ihr voller Freude gegenüber und hieß sie willkommen.
»Warum hast du nicht gesagt, dass du kommst? Aber egal. Ich kann gar nicht sagen, wie ich mich freue, dich zu sehen.«
Sylvia versuchte ihre Stimmung so weit zu heben, dass sie seiner entsprach, denn sie war niedergeschlagen; London hat manchmal diese Wirkung auf Londoner, die fort gewesen sind und kaum einen Begriff von dem Gewicht der Stadt hatten, solange sie dort wohnten, von ihren unzähligen Möglichkeiten. Nach der Mission versetzte London ihr einen Schlag in die Magengrube. Es ist ein Fehler, zu schnell von, sagen wir, Kwadere nach London zu kommen: Man braucht etwas, das einer Dekompressionskammer entspricht.
Sie saß da, lächelte, trank Wein in kleinen Schlucken und hatte Angst, mehr zu trinken, denn sie war inzwischen keinen Wein mehr gewohnt, und sie spürte das Haus wie ein Lebewesen um sich herum und über sich und unter sich,
ihr
Haus, das ihr einziges Zuhause gewesen war, als sie noch wusste, was darin vorging, als sie die Atmosphäre kannte und die Eigenart von jedem Zimmer und jedem Treppenabschnitt. Jetzt war das Haus dicht bevölkert, das konnte sie spüren, es war voller Menschen, aber das waren Fremde, nicht ihre Vertrauten, und sie war dankbar, dass Colin dort saß und sie anlächelte. Es war zehn Uhr abends. Oben spielte jemand eine Melodie, die ihr bekannt vorkam, wahrscheinlich etwas Berühmtes wie
Blue Suede Shoes
– so wirkte es auf sie –, aber sie konnte nicht sagen, wie es hieß.
»Kleine Sylvia. Und es sieht so aus, als müsste man dich ein bisschen aufpäppeln, wie immer. Kann ich dir etwas zu essen geben?«
»Ich habe im Flugzeug gegessen.«
Aber er war schon aufgestanden, öffnete die Kühlschranktür und sah die Fächer durch, und wieder spürte Sylvia einen Schlag auf ihr Herz, ja, das war ihr Herz, es tat weh, denn sie dachte an Rebecca in ihrer Küche, mit ihrem kleinen Kühlschrank, der für ihre Familie im Dorf ein Extremfall an glücklicher Fügung und großzügiger Versorgung war: Sie betrachtete die Eier, die die halbe Kühlschranktür einnahmen, die schimmernde, saubere Milch, die vollgestopften Behälter, den Überfluss …
»Das ist eigentlich nicht mein Territorium, sondern das von Frances, aber wir können bestimmt …« Er holte einen Laib Brot heraus, einen Teller mit kaltem Huhn. Sylvia war in Versuchung: Frances hatte das gekocht, Frances hatte ihr zu essen gegeben; zwischen Frances auf der einen Seite und Andrew auf der anderen Seite hatte sie ihre Kindheit überlebt.
»Was ist denn dein Territorium?«, fragte sie und machte sich über ein Hühnchen-Sandwich her.
»Ich bin jetzt oben, ganz oben im Haus.«
»In Julias Wohnung?«
»Ich, und Sophie.«
Das überraschte sie so, dass sie ihr Sandwich hinlegte, als müsste sie aus Gründen der Sicherheit zunächst einmal darauf verzichten.
»Du und Sophie!«
»Natürlich, das wusstest du nicht. Sie ist hergekommen, um sich zu erholen, und dann … sie war krank, weißt du.«
»Und dann?«
»Sophie ist schwanger«, sagte er, »und deshalb sind wir im Begriff zu heiraten.«
»Armer Colin«, sagte sie und verfärbte sich dann vor Scham – sie wusste schließlich nicht genau …
»Nicht ganz armer Colin. Schließlich habe ich Sophie sehr gern.«
Sie nahm ihr Sandwich wieder auf und legte es wieder hin: Colins Neuigkeiten schnürten ihr den Magen zu. »Erzähl weiter. Ich kann sehen, dass es dir miserabel geht.«
»Die scharfsinnige Sylvia. Das warst du schon immer, und nur scheinbar warst du die kleine Miss Ich-bin-gar-nicht-da.«
Das tat weh, und das sollte es auch. »Nein, nein, es tut mir leid. Wirklich. Ich bin nicht ganz bei mir. Du erwischst
Weitere Kostenlose Bücher