Ein süßer Traum (German Edition)
damit sie enthüllende Fakten verrieten oder erfanden. Sie war gut in dieser Aasgeierarbeit, und sie war gefürchtet. Besonders berühmt war sie für ihre »Porträts«, mit denen sie den Journalismus zu neuen Gipfeln der Rachsucht führte, und die Arbeit fiel ihr leicht, weil sie von Natur aus nicht fähig war, das Gute in jemandem zu sehen: Sie wusste, dass die Wahrheit über eine Person diskreditierend sein musste und dass die wirkliche Essenz eines Menschen zwangsläufig unerfreulich war. Diese Art, zu spotten, zu höhnen, andere lächerlich zu machen, kam aus ihrem tiefsten Selbst und passte zu einer Generation Gleichgesinnter. Es war, als wäre in England etwas Hässliches und Grausames freigesetzt worden, etwas, das zuvor verborgen gewesen war: als zöge ein Bettler Lumpen beiseite, um seine Geschwüre zu zeigen. Was respektiert worden war, wurde jetzt verachtet; Anstand und Respekt vor anderen waren jetzt lächerlich. Die Welt wurde den Lesern durch einen groben Schirm präsentiert, der alles tilgte, was angenehm oder liebenswert war. Den Ton gaben Rose Trimble und ihresgleichen an, die nicht glauben konnten, dass jemand etwas aus einem anderen Grund als aus Eigennutz tat. Am allermeisten hasste Rose Leute, die Bücher lasen oder so taten – das war nur Verstellung; sie verabscheute die Kunst, verunglimpfte besonders das Theater – sie prahlte damit, das Wort »Möchtegerns« für Theaterleute erfunden zu haben, und sie mochte gewalttätige und grausame Filme. Sie traf sich nur mit ihresgleichen, Leuten, die bestimmte Pubs und Clubs frequentierten; sie hatten keine Ahnung, dass sie ein neues Phänomen darstellten, etwas, das frühere Generationen verachtet und als Sensationspresse abgetan hätten, die nur für die niedrigsten Abgründe der Gesellschaft taugte. Ihr jedoch kam der Ausdruck jetzt geradezu schmeichelhaft vor, wie eine Bestätigung der Tapferkeit bei der Verfolgung der Wahrheit. Doch wie konnte Rose, wie konnten die anderen etwas darüber wissen? Sie, die Geschichte verachteten, weil sie nichts darüber gelernt hatten? Nur einmal in ihrem Leben hatte sie mit Anerkennung geschrieben, mit Bewunderung, und zwar über Genosse Präsident Mungozi, und dann vor Kurzem etwas über die Genossin Gloria, die sie anbetete, weil sie so rücksichtslos war. Nur einmal hatte ihre Feder kein Gift verspritzt. Den Artikel von dem Korrespondenten des
Monitor
las Rose voller Wut und auch mit so etwas wie aufkommender Angst.
Als sie einen Journalisten traf, der beim
Monitor
arbeitete, erfuhr sie, dass Colin Lennox den Artikel veranlasst hatte. Und wer zum Teufel war Colin, dass er zu Afrika eine Meinung hatte?
Sie hasste Colin. Romanautoren und Dichter waren für sie immer so etwas wie Fälscher gewesen, die aus nichts etwas machten und ungestraft davonkamen. Für seinen ersten Roman war sie noch nicht lange genug in der Szene gewesen, aber seinen zweiten hatte sie verrissen, ebenso wie die Lennox-Familie, und nach seinem dritten hatte sie einen Wutanfall bekommen. Es ging dort um zwei Leute, die einander offenbar sehr unähnlich waren und füreinander eine zärtliche und beinahe verrückte Liebe empfanden – dass sie überhaupt zusammen waren, kam beiden vor wie eine Laune des Schicksals. Wenn sie mit anderen Partnern zu tun hatten, mit anderen Abenteuern, trafen sie sich wie Verschwörer, um das Gefühl zu teilen, dass sie einander verstanden wie niemand sonst. Die Kritik mochte den Roman im Allgemeinen, lobte ihn als poetisch und plastisch. Eine Kritik sprach von »elliptisch«, ein Wort, das Rose erst recht zur Raserei trieb: Sie musste es im Wörterbuch nachschlagen. Sie las den Roman oder versuchte es: Aber in Wirklichkeit überforderten sie Texte, die länger waren als ein Zeitungsartikel. Natürlich ging es um Sophie, dieses hochnäsige Miststück. Die beiden sollten bloß aufpassen. Rose hatte eine Akte über die Lennox mit allen möglichen Sachen: Einiges hatte sie vor langer Zeit gestohlen, als sie im Haus an allen erdenklichen Stellen geschnüffelt hatte, wo vielleicht etwas zu finden war. Sie hatte vor, sie eines Tages zu »kriegen«. Manchmal saß sie da und blätterte die Akte durch, eine mittlerweile ziemlich dicke Frau, auf deren Gesicht gewöhnlich ein bösartiges Lächeln lag, das zu einem höhnischen Lachen wurde, wenn sie eine Bezeichnung oder Wendung gefunden hatte, die wirklich verletzte.
Im Flugzeug nach Senga saß sie neben einem massigen Mann, der zu viel Platz einnahm. Sie bat um
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