Ein süßer Traum (German Edition)
Geisteszustand war auch klinisch zu beschreiben: nachzulesen in hundert religiösen Lehrbüchern. Die Ärzte ihres Glaubens würden zu ihr sagen: Achte nicht darauf, das ist nichts, die Zeit der Dürre ereilt uns alle.
Aber sie brauchte diese Seelenexperten nicht, sie brauchte Pater McGuire nicht, sie konnte es selbst diagnostizieren. Wozu brauchte sie überhaupt einen spirituellen Mentor, wenn sie es ihm nicht erzählen wollte, einfach weil sie wusste, was er sagen würde?
Aber die eigentliche Frage war, warum es Pater McGuire so leicht fiel, von der »Zeit der Dürre« zu sprechen, wo sie sich fühlte, als würde sie sich mit einem solchen Satz selbst exkommunizieren? Was sie zum Übertritt gebracht hatte, war ein hungriges, bedürftiges Herz gewesen, und der Zorn, auch wenn ihr das bis vor Kurzem nicht klar gewesen war. Sie konnte sich selbst sehen, wie sie damals gewesen war – in Joshua, in dem der Zorn ständig brannte und als bittere Anklage und Forderung nach außen drängte. Wer war sie, dass sie Joshua kritisierte? Sie hatte erfahren, wie es war, zornig zu sein bis zu dem Punkt, wo der Zorn einen vergiftet, auch wenn sie damals gedacht hatte, dass sie sich nach tröstenden Armen sehnte, Julias Armen. Und jetzt kritisierte sie Julia, weil ihre Liebe nicht ausgereicht hatte, um dieses Verlangen zu stillen, sodass sie weitergegangen war zu Pater Jack? Was hatte das Verlangen gestillt? Arbeit, immer nur Arbeit. Also stand sie jetzt hier, auf einem trockenen Abhang in Afrika, und hatte das Gefühl, dass alles, was sie tat oder jemals tun würde, so wirkungsvoll war, wie an einem heißen Tag Wasser aus einer (Blech-)Tasse in den Staub zu gießen.
Sie dachte: Es gibt niemanden in Europa (es sei denn, er ist hier gewesen und hat es gesehen), der diese Ebene der absoluten Not versteht, den Mangel an allem, bei Menschen, denen die Herrschenden alles versprochen haben, und das war der Punkt, an dem ein stilles Grauen in sie zu dringen schien. Es war wie das Grauen vor Aids, der stillen, geheimnisvollen Krankheit, die aus dem Nichts gekommen war – übertragen von Affen, hieß es, vielleicht sogar den Affen, die manchmal hier in den Bäumen spielten. Der Dieb, der in der Nacht kommt – so dachte sie über Aids.
Das Herz tat ihr weh … Sie musste Clever und Zebedee auffordern, den Bauarbeitern zu sagen, es werde noch ein gutes Haus aus Ziegeln gebraucht, und sie würde auf den Wunsch der Dorfleute nach mehr Unterricht eingehen.
Als Pater McGuire hörte, dass es mehr Unterricht geben sollte, sagte er, sie sehe müde aus, sie müsse auf sich achten.
An dieser Stelle hätte sie ihre Zeit der Dürre erwähnen und sogar einen Witz darüber machen können, aber stattdessen sagte sie, er müsse daran denken, seine Vitamintabletten zu nehmen, und warum er keinen Mittagsschlaf mache? Er hörte sich ihre Kritik geduldig lächelnd an, genauso wie sie ihm zuhörte.
Colin war von Sylvia darum gebeten worden, selbst »etwas für Afrika zu tun« – und er sah noch, wie er sich das vorgestellt und gespottet hatte: »Afrika!« Als wüsste er es nicht besser. Es gab diesen Kontinent da unten, und die meisten Leute hatten das Bild von einem Kind im Kopf, das eine Bettelschale hochhält. Aber was Sylvia gesagt hatte, betraf nicht Afrika, sondern Simlia. Es war seine Pflicht, im Fall von Simlia zu helfen. Und wie oft hatte er Witze darüber gemacht, dass mit Dickens’ Mrs. Jellaby alles gesagt sei, dass die Leute Theater um Afrika machten, wo sie sich auch um die Not vor Ort kümmern könnten. Warum Afrika? Warum nicht Liverpool? Die Linke in Europa sorgte sich wie üblich um das, was anderswo vorging: Zuerst hatte sie sich mit der Sowjetunion identifiziert, und jetzt war sie kaltgestellt. Nun gab es Afrika, Indien, China und unzählige Länder mehr, aber vor allem Afrika. Es war seine Pflicht, etwas zu tun. Lügen – hatte Sylvia gesagt. Es würden Lügen erzählt. Na und? Was konnte man schon erwarten? So murmelte und grollte Colin, ein Bär, den man in Räumen eingesperrt hatte, die jetzt, wo das Baby da war, zu klein geworden waren, und der ein bisschen betrunken war, aber nicht sehr, denn er hatte sich Sylvias Kritik zu Herzen genommen. Und warum glaubte sie, dass er die Voraussetzungen besaß, um über Afrika zu schreiben? Oder dass er Leute kannte, die sich dafür interessierten? Er kannte niemanden in dieser Welt der Zeitungen, der Magazine, des Fernsehens; er blieb dicht bei seinen Leisten und schrieb seine
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