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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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dieser letzte Besuch, der damit geendet hatte, dass er sie aufhob und auf seinen Schoß setzte – wie peinlich für sie beide! Und trotzdem mochte er sie gern, ja, sie hatte ihn gebeten, etwas für Afrika zu tun, und das hatte er getan.
    Aber, Moment, auch Rupert hatte wie Fred Cope gesagt, man solle sie (Afrika nämlich, als Ganzes?) nicht nach unseren Standards beurteilen. »Und was ist mit der Wahrheit?«, fragte Colin und wusste aus langer und schmerzlicher Erfahrung, dass die Wahrheit immer an letzter Stelle kam. Rupert war immerhin keiner von Genosse Johnnys geistigen Erben: Ansonsten hätte er mit einem Fanfarenstoß der Wahrheit Vorschub geleistet. Allerdings war »die Wahrheit« bislang nur tröpfchenweise aus der Sowjetunion gedrungen, verglichen mit den Strömen, in denen sie zehn Jahren später fließen würde; das große Imperium existierte zwar noch (obwohl niemand, der auch nur halbwegs links stand, auch nur entfernt daran denken würde, es »Imperium« zu nennen), aber es war genug herausgedrungen – es drang genug heraus, um die Menschen zu ermahnen, dass die Wahrheit auf jeder Agenda stehen sollte. Aber Rupert war nie etwas anderes gewesen als ein guter Liberaler, und jetzt sagte er: »Meinst du nicht, dass es manchmal mehr Schaden anrichtet als nützt, wenn man die Wahrheit sagt?«
    »Nein, das meine ich ganz sicher nicht«, sagte Colin.
    Danach hatte Colin Sylvias Appell vergessen, weil er damit beschäftigt war, seine Arbeit in die Souterrainwohnung zu verlegen, denn Meriel war endlich ausgezogen. Er musste das neue Buch fertigstellen: Julia hatte keineswegs so viel Geld hinterlassen, dass einer von ihnen bummeln und sich Zeit lassen konnte.
    Fred Cope suchte bei seiner Zeitung und in anderen Archiven Artikel über Simlia zusammen und zog den Schluss, dass es stimmte: Im Zweifelsfall wurde immer zugunsten Simlias entschieden. Zu den Experten, deren Namen oft unter Artikeln über Simlia standen, gehörte Rose Trimble. Sie war noch nie kritisch gewesen – also, wer waren die anderen? Der
Monitor
hatte einen Korrespondenten in Senga, und ihn bat er, einen Artikel zu schreiben, »Simlias erstes Jahrzehnt«. Sein Artikel war kritischer als die meisten anderen, gleichwohl erinnerte er die Leser daran, dass man Afrika nicht nach europäischen Standards beurteilen dürfe. Fred Cope schickte Colin eine Kopie dieses Artikels. »Ich hoffe, das entspricht eher dem, was du dir vorstellst?« Und als Postskriptum: »Wie wär’s, wenn du einen Beitrag darüber schreibst, ob Proudhons ›Eigentum ist Diebstahl‹ für die Korruption und für den Zusammenbruch der modernen Gesellschaft verantwortlich ist? Ich wäre der Erste, der zugibt, dass ich mir darüber Gedanken mache, seit in unser Haus in zwei Jahren dreimal eingebrochen worden ist.«
    Der Artikel im
Monitor
fiel dem Redakteur einer Zeitung auf, für die Rose Trimble regelmäßig über Simlia und über Genosse Präsident Matthew geschrieben hatte, und jetzt wurde sie gebeten, noch einmal nach Simlia zu fahren und festzustellen, ob das, was sie dort vorfand, dem kritischen Artikel im
Monitor
entsprach.
    Rose hatte inzwischen einen Namen in der Zeitungswelt. Sie verdankte ihn ihrem zeitgemäßen Lob auf Simlia, aber das war nur der Anfang gewesen. Alles war gut für sie gelaufen. Sie hätte leicht sagen können: »Dank Gott, der mich zur rechten Stunde rief« – wenn sie je eine Zeile Dichtung gelesen oder das Wort Gott hätte aussprechen können, ohne zu grinsen. Als sie in Julias Haus gewohnt hatte, hatte sie sich unterlegen gefühlt, aber jetzt, da sie ihm entronnen war, kamen ihr die anderen unterlegen vor. Sie passte in die achtziger Jahre. Sie hatte die Eigenschaften, die gerade gebraucht wurden, in einer Zeit, wo man öffentlich Applaus bekam, wenn man aufstieg, reich wurde, seine Kollegen schlechtmachte. Sie war rücksichtslos, sie war raffgierig, sie war anderen gegenüber geringschätzig aus Instinkt. Sie hielt zwar die Verbindung mit der verhältnismäßig seriösen Zeitung aufrecht, für die sie ihre Beiträge über Simlia schrieb, aber ihre eigentliche Nische hatte sie bei
World Scandals
gefunden, wo es ihre Aufgabe war, Schwächen oder Gerüchte aufzuspüren und dann ein Opfer Tag und Nacht zu hetzen, bis sie triumphierend mit einer Enthüllung aufwarten konnte. Je höher dieser Unglückliche im öffentlichen Leben stand, desto besser. Sie kampierte auf der Türschwelle der Leute, wühlte in Mülltonnen, bestach Verwandte und Freunde,

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