Ein süßer Traum (German Edition)
lesen. »Julia meint, ich soll mehr lesen. Natürlich habe ich schon ein paar von Johnnys Büchern gelesen. Ihr glaubt es sicher nicht, aber bevor ich in dieses Haus kam, wusste ich gar nicht, dass es Bücher gibt, die nicht von Politik handeln.« Das hieß, wie jeder wusste, dass Sylvia sich nicht von Julia entfernen konnte: Sie fühlte sich zu zerbrechlich, um allein zu bestehen.
Colin dagegen wollte zur Weinlese nach Frankreich fahren oder sich vielleicht an einem Roman versuchen. Allgemeines Stöhnen folgte auf seine Ankündigung.
»Warum soll er denn keinen Roman schreiben?«, fragte Sophie, die immer zu Colin hielt – weil er ihr so schrecklich wehgetan hatte.
»Ich kann doch einen Roman über das St. Joseph’s schreiben«, sagte Colin, »und wir alle kommen darin vor.«
»Das ist nicht fair«, sagte Rose prompt. »Dann komme ich nicht vor, weil ich nicht auf das St. Joseph’s gehe.«
»Wie wahr«, sagte Andrew.
»Oder ich schreibe einen Roman nur über dich«, schlug Colin vor. »
Rose Feverel
. Wie wäre es damit?«
Rose starrte ihn an und sah sich dann misstrauisch um. Alle starrten feierlich zurück. Es war ein viel zu häufig ausgeübter Sport geworden, Rose zu schikanieren, und Frances versuchte die Situation zu entschärfen, weil sie wusste, dass es jeden Moment zu Tränen kommen konnte, und sagte: »Und was hast du für Pläne, Rose?«
»Ich fahre mit zu Jills Cousine. Oder ich trampe durch Devon. Oder ich bleibe hier«, fügte sie hinzu und sah Frances herausfordernd an. Sie wusste, dass Frances sich freuen würde, wenn sie wegfuhr, kam aber nicht auf die Idee, dass das an irgendwelchen unangenehmen Eigenschaften lag, die sie besaß. Dass sie ganz einfach unsympathisch war. Sie war es gewohnt, abgelehnt zu werden, und überzeugt davon, dass das an der allgemeinen Ungerechtigkeit der Welt lag:
Ablehnen
– dieses Wort benutzte sie gar nicht. Die Leute hackten eben auf ihr herum, wollten sie fertigmachen. Menschen, die nett sind, charmant oder gut aussehen oder all diese Eigenschaften in sich vereinen, Menschen, die anderen vertrauen, haben keine Ahnung von den kleinen Höllen, die jemand wie Rose bewohnt.
Als Nächstes verkündete James, er werde in ein Sommerlager fahren, das Johnny ihm empfohlen habe, um das Altern des Kapitalismus und die inneren Widersprüche des Imperialismus zu studieren.
Als Daniel traurig sagte, er müsse wohl nach Hause fahren, tröstete Geoffrey ihn: »Mach dir nichts draus, der Sommer dauert nicht ewig.«
»Doch«, sagte Daniel, und sein Gesicht war flammend rot vor Elend.
Als Letzter gab Roland Shattock seine Ferienpläne bekannt: Er werde mit Sophie eine Wandertour durch Cornwall machen. Als er in mehreren Gesichtern Anzeichen von Bedenken sah – in Frances’, in Andrews –, sagte er: »Ach, keine Panik, sie ist bei mir sicher, ich glaube, ich bin schwul.«
Diese Mitteilung, auf die heute nur ein »Aha?« folgen würde oder vielleicht ein Seufzer von den Frauen, kam zu beiläufig und wenig taktvoll, und allgemeines Unbehagen war spürbar.
Das sei ihr egal, schrie Sophie auch prompt, sie sei einfach gerne mit Roland zusammen. Andrew sah auf würdevolle Weise reumütig aus, und man konnte geradezu hören, wie er dachte, dass
er
nicht homosexuell war.
»Ach, na ja, vielleicht auch nicht«, schränkte Roland ein. »Jedenfalls bin ich verrückt nach dir, Sophie. Aber keine Angst, Frances, ich bin keiner, der Minderjährige entführt.«
»Ich bin fast sechzehn«, sagte Sophie empört.
»Als ich dich im Park so schön träumen sah, dachte ich, du bist viel älter.«
»Ich bin viel älter.« In gewissem Sinn war das auch wahr: Sophie meinte die Krankheit ihrer Mutter, den Tod ihres Vaters und dann die schlechte Behandlung durch Colin.
»Schöne Träumerin«, sagte Roland und küsste ihr die Hand, aber als Parodie auf den kontinentalen Handkuss, der der Luft über dem Handschuh die Ehre erweist oder, wie in diesem Fall, der Luft über Fingerknöcheln, die ein klein wenig nach dem Hühnereintopf rochen, in dem Sophie gerührt hatte, um Frances zu helfen. »Und wenn ich wegen Verführung einer Minderjährigen doch ins Gefängnis muss, ist es das sicher wert.«
Was Frances anging, so warteten friedliche und produktive Wochen auf sie.
Der Brandbrief kam adressiert an »J … unleserlich … Lennox«, und Julia öffnete ihn. Als sie sah, dass er für Johnny war,
Lieber Genosse Johnny
, und dass der erste Satz lautete:
Du sollst mir helfen, den
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