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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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braucht«, sagte Julia, »warum nicht Wilhelm? Er hat Colin gern.« »Aber, Julia, verstehst du denn nicht, er ist zu nah, er gehört zu unserer Welt.« »Nein, das verstehe ich nicht.«) Das Problem war, dass Dr. David irgendeiner psychoanalytischen Theorie folgte und gar nicht sprach. Er sagte »Guten Tag«, gab einem kurz die Hand, setzte sich in seinen Sessel und sprach dann während der ganzen Stunde nicht ein einziges Wort. Kein Wort. »Er lächelt nur«, berichtete Colin. »Ich sage etwas, und er lächelt. Und dann sagt er: Es ist Zeit, wir sehen uns am Donnerstag.«
    Nach der Maystock Clinic kam Colin direkt nach Hause und ging sofort zu seiner Mutter, wo immer sie auch war. Dort wandte er sich mit allem, was er Dr. David nicht hatte sagen können, an sie. Alles strömte aus ihm heraus, die Klagen, der Kummer, die Wut, alles, von dem Frances gehofft hatte, dass er es endlich auf den professionellen Schultern von Dr. David würde abladen können. Aber der saß nur da und schwieg, also saß Colin auch da und schwieg frustriert und wütend. Er schrie seine Mutter an, dass Dr. David ihn foltere, und nur die Schule sei schuld, weil man ihn dort in die Maystock Clinic geschickt habe. Und es sei ihre Schuld, dass er so durcheinander sei. Warum sie Johnny geheiratet habe – schrie er sie an. Diesen Kommunisten, alle wüssten über den Kommunisten Bescheid, aber sie habe ihn geheiratet, Johnny sei nur ein Faschisten-Kommissar, und sie, Frances, habe ihn geheiratet, und er und Andrew hätten die ganze Scheiße abbekommen. So stand er mitten in ihrem Zimmer und schrie, aber eigentlich schrie er Dr. David an, denn alles ballte sich in ihm zusammen und musste irgendwo heraus. Auf dem ganzen Weg nach London in dem kleinen, langsamen Zug übte er seine Vorwürfe an das Leben ein, an seinen Vater und seine Mutter, um Dr. David davon zu erzählen, aber Dr. David lächelte nur. Und so richtete er sich gegen seine Mutter. Schau dir dieses Haus an, schrie er bei jedem Besuch, schau es dir an, überall Leute, die kein Recht haben, hier zu sein. Warum Sylvia hier sei? Sie gehöre nicht zur Familie. Sie nehme alles hin, alle nähmen alles hin, und Geoffrey habe sie jahrelang ausgesaugt. Ob Frances überhaupt jemals ausgerechnet habe, was in all den Jahren für Geoffrey ausgegeben worden sei? Davon hätten sie noch ein Haus kaufen können, so groß wie Julias. Warum sei Geoffrey ständig hier gewesen? Alle sagten, dass Geoffrey sein Freund sei, aber er habe Geoffrey nie besonders gemocht, die Schule habe beschlossen, dass Geoffrey sein Freund sei, Sam habe beschlossen, dass sie sich ergänzten, mit anderen Worten, sie hätten einen Scheißdreck gemeinsam, also sei es gut für sie, aber für ihn, Colin, sei es nicht gut, und Frances mache gemeinsame Sache mit der Schule, schon immer, und manchmal denke er, Geoffrey sei mehr Frances’ Sohn als er selbst, und man schaue sich Andrew an, der habe ein ganzes Jahr auf dem Bett gelegen und Pot geraucht, und ob Frances denn wisse, dass er auch Kokain probiert habe, aha, das wisse sie nicht? Warum denn nicht? Frances wisse nie über irgendetwas Bescheid, sie lasse einfach alles laufen, und was denn mit Rose sei, was Rose denn überhaupt in diesem Haus mache, wo sie auf Kosten der Familie lebe und sich alles nehme, er wolle Rose hier nicht haben, er hasse Rose, ob Frances wisse, dass niemand Rose mochte, und trotzdem wohne sie unten und habe die Wohnung mit Beschlag belegt, und wenn irgendjemand den Kopf durch die Tür stecke, schreie sie ihn an, er solle verschwinden. Das sei alles Frances’ Schuld, manchmal denke er, er sei der einzige normale Mensch in diesem Haus, aber er sei derjenige, der in die Maystock Clinic gehen und sich von Dr. David foltern lassen müsse.
    Wenn sie Colin zuhörte, wie er vor ihr stand und Reden hielt und dabei seine schwere Brille mit dem schwarzen Rand abnahm und wieder aufsetzte, mit den Händen fuchtelte und mit den Füßen stampfte, dann hörte sie, was eigentlich kein menschliches Wesen jemals hören sollte – die unzensierten Gedanken eines anderen. (Das heißt, niemand außer Dr. David und seinesgleichen.) Diese Gedanken waren sicher ähnlich wie die vieler Leute, wenn sie heiß und noch wie Lava waren. Und sie musste sich nun von Colin anhören, was niemand gerne hört: was der eine über den anderen denkt. Die Kummertirade dauerte meistens eine Stunde, so lange, wie er bei Dr. David gewesen war. Und dann sagte er in ziemlich freundlichem,

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