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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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voller Bücher von der Decke bis zum Boden und wusste, dass sie sie gelesen hatten.
    »Frances«, sagte sie herausfordernd, wenn man sie dort antraf, wie sie die Hände in die Hüften stemmte und zornig die Bücher anstarrte, »hast du die Bücher eigentlich alle gelesen?« »Ja, ja, ich glaube schon.«
    »Wann denn? Gab es bei dir zu Hause Bücher, da, wo du aufgewachsen bist?« »Ja, zumindest die Klassiker. Ich glaube, die hatte damals jeder.« »Jeder, jeder! Wer ist jeder?« »Die Mittelschicht«, sagte Frances und war entschlossen, sich nicht tyrannisieren zu lassen. »Und ein großer Teil der Arbeiterklasse auch.« »Oh! Wer sagt das?« »Prüf es doch nach«, sagte Frances. »Es ist nicht schwer, so etwas herauszufinden.« »Und wann hattest du Zeit zum Lesen?« »Mal sehen …« Frances erinnerte sich daran, dass sie mit zwei kleinen Kindern meistens allein gewesen war und dass das Lesen ihre Langeweile gelindert hatte. Sie erinnerte sich daran, dass Johnny an ihr herumgenörgelt hatte, sie solle dies lesen, das lesen … »Johnny hatte einen guten Einfluss«, sagte sie zu Rose und beharrte innerlich darauf, dass man fair sein musste. »Er ist sehr belesen, weißt du. Das sind Kommunisten normalerweise, komisch, nicht wahr, aber sie sind so. Er hat mich zum Lesen gebracht.«
    »So viele Bücher«, sagte Rose. »Also, wir hatten keine Bücher.«
    »Das kann man ganz leicht aufholen, wenn man will«, sagte Frances. »Leih dir aus, was du möchtest.«
    Aber Rose ballte die Fäuste, weil es so beiläufig war. Alles, was man erwähnte, schienen sie zu kennen; eine Idee oder ein Detail aus der Geschichte. Sie besaßen eine Art Bank des Wissens: Egal, was man fragte, sie wussten alles.
    Rose hatte sich Bücher aus dem Regal genommen, aber sie hatten ihr nicht gefallen. Es lag nicht daran, dass sie langsam las, denn sie war ausgesprochen beharrlich und blieb bei der Sache. Beim Lesen erfüllte sie so etwas wie Zorn, der zwischen sie und die Geschichte oder die Tatsachen trat, die sie aufzunehmen versuchte. Es lag daran, dass diese Leute all das besaßen wie eine Art Erbe, und sie, Rose …
    Als Franklin angekommen war und ihn plötzlich der komplizierte Reichtum Londons umgab, hatte er tagelang Panik verspürt und sich gewünscht, das Stipendium abgelehnt zu haben. Es war mehr, was man von ihm erwarten konnte. Sein Vater war in einer katholischen Missionsschule Lehrer für die unteren Klassen gewesen. Als die Priester sahen, dass der Junge gescheit war, machten sie ihm Mut und unterstützten ihn, und es kam der Punkt, an dem sie jemand Reichen fragten – Franklin sollte nie erfahren, wer es war –, ob er diesen vielversprechenden Jungen in die Liste derer aufnehmen würde, die er förderte. Ein teures Unterfangen: zwei Jahre am St. Joseph’s und dann, mit Glück, die Universität.
    Wenn Franklin von seiner Missionsschule ins Dorf zurückkam, schämte er sich heimlich für die Verhältnisse, aus denen seine Eltern stammten. In denen sie immer noch lebten. Ein paar Grashütten im Busch, kein Strom, kein Telefon, kein fließendes Wasser, keine Toilette. Der Laden war acht Kilometer entfernt. Im Vergleich dazu wirkte die Missionsschule mit ihren Annehmlichkeiten wie ein reicher Ort. Jetzt, in London, kam es zu einer gewaltsamen Verlagerung: Er war von einem derartigen Reichtum umgeben, von derartigen Wundern, dass die Mission nur schäbig und arm wirken konnte. In den ersten Tagen in London hatte er bei einem liebenswürdigen Priester gewohnt, einem Freund der Priester von der Mission, der wusste, dass der Junge einen Schock bekommen würde, und der ihn mitnahm in den Bus, in die U-Bahn, in Parks, auf Märkte, in die großen Läden, die Supermärkte, auf die Bank, zum Essen in Restaurants. All das, damit er sich eingewöhnte, als Vorbereitung auf das St. Joseph’s, das ihm schließlich vorkam wie der Himmel – Gebäude, die wie Illustrationen in einem Bilderbuch über grüne Felder verstreut lagen, und die Jungen und Mädchen, alle weiß bis auf zwei Nigerianer, die ihm so fremd waren wie die Weißen, und die Lehrer, die ganz anders waren als die katholischen Patres, alle so freundlich, so nett … Außerhalb der Missionsschule hatte er noch keine freundlichen Weißen erlebt. Colin wohnte auf demselben Flur, zwei Türen von seinem Zimmer entfernt. Für Franklin war das kleine Zimmer mit allem ausgestattet, was man sich wünschen konnte, einschließlich eines Telefons. Es war ein kleines Paradies, aber er

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