Ein süßer Traum (German Edition)
hatte gehört, wie Colin sich beklagte, es sei zu klein. Dann das Essen – die Vielfalt, die Fülle, jede Mahlzeit wie ein Festessen, aber er hatte gehört, wie Schüler murrten, das Essen sei eintönig. In der Mission hatte er kaum etwas anderes zu essen gehabt als Maisbrei und Soße.
Langsam wuchs in ihm ein mächtiges Gefühl, das manchmal in Form von Beleidigungen und Vorwürfen heiß aus seinem Mund zu dringen drohte, während er lächelte und nett und gefügig war. Das ist nicht fair, das ist nicht richtig, warum habt ihr so viel
und findet das alles selbstverständlich
? Das war es, was in ihm wehtat, schmerzte, stach: Sie hatten keine Ahnung, wie glücklich sie waren. Und als er mit Colin in das große Haus kam, das bestimmt ein Palast war (das dachte er zuerst), war es vollgestopft mit schönen Dingen, und er saß einfach da und schwieg, während alle Witze machten und sich neckten. Er beobachtete den älteren Bruder, Andrew, wie liebevoll er mit dem Mädchen umging, das krank gewesen war, und in Gedanken war er an ihrer Stelle und saß dort zwischen Frances und Andrew, die beide so nett zu ihr waren, so sanft. Nach diesem ersten Besuch war es genauso wie damals, als er von dem Stipendium erfahren hatte. Er kam mit der Situation nicht zurecht, war der Sache nicht gewachsen, oft wusste er nicht einmal, wofür bestimmte Dinge da waren – etwas aus der Küche oder ein Möbelstück. Dennoch kam er immer wieder und stellte fest, dass man ihn in diesem Haus behandelte wie einen Sohn. Johnny war ein Problem, zunächst. Franklin war Johnnys Lehren schon einmal ausgesetzt gewesen, dieser Art zu reden, und er hatte beschlossen, dass er mit dieser Politik nichts zu tun haben wollte, die ihm Angst machte. Politische Sektierer hatten ihn dazu angehalten, alle Weißen zu töten, ihn, der durch die weißen Priester in der Mission Gutes erfahren hatte, auch wenn sie streng waren, ebenso wie durch einen unbekannten weißen Beschützer, und jetzt diese netten Leute in der neuen Schule und in diesem Haus. Und trotzdem schmerzte es, er brannte, er litt: Es war Neid, und er vergiftete ihn.
Ich will. Ich will das. Ich will. Ich will …
Er wusste, dass er das meiste von dem, was er dachte, nicht sagen konnte. Die Gedanken, die seinen Kopf verstopften, waren gefährlich, und man durfte sie nicht herauslassen. Auch Rose sagte er nichts davon. Rose und Franklin gewährten einander keinen Zutritt zu den grässlichen, vergifteten Szenen in ihren Köpfen. Aber sie waren gern zusammen.
Es dauerte lange, bis er herausfand, was die Leute einander bedeuteten, welche Beziehungen sie hatten und ob sie verwandt waren. Es überraschte ihn nicht, dass so viele am Tisch saßen und aßen, aber er musste zum Vergleich weit zurückdenken, an sein Dorf, wo er es gewohnt gewesen war, dass andere freundlich aufgenommen wurden und etwas zu essen und einen Platz zum Schlafen erwarteten. In dem kleinen Haus seiner Eltern in der Mission, das aus kaum mehr als einem kärglichen Zimmer und einer Küche bestand, gab es keinen Platz für die zwanglose Gastfreundschaft, die im Dorf üblich war. Wenn Franklin in den Ferien bei seinen Großeltern war, lagen um das große Scheit, das die ganze Nacht mitten in der Hütte glimmte, Leute, die zum Schlafen in Decken gewickelt waren und die er nicht kannte und vielleicht nie wieder sehen würde: entfernte Verwandte auf der Durchreise. Oder Verwandte, die vom Pech verfolgt waren, kamen und suchten Zuflucht. Trotzdem ging diese freundliche Wärme einher mit einer Armut, für die er sich schämte und die er – schlimmer noch – nicht mehr verstehen konnte. Wenn er nach alldem wieder nach Hause kam, würde er sie ertragen können?, dachte er, wenn er sah, wie Roses Kleider sich auf dem Bett häuften, wenn er sah, was die Kinder in der Schule alles hatten: Sie besaßen, sie erwarteten unendlich viel. Er hatte ein paar wenige Kleidungsstücke, auf die er sorgfältig achtgab, und es hatte seine Eltern so viel gekostet, sie für ihn zu kaufen.
Und dann diese Bücher da oben. In der Mission hatten sie eine Bibel und Gebetbücher und John Bunyans
Pilgerreise
, ein Buch, das er immer wieder gelesen hatte. Er hatte Zeitungen gelesen, die wochenalt waren und die jemand in der Speisekammer der Mission gestapelt hatte, um Regale oder Schubladen damit auszulegen. Wie einen Schatz hütete er Arthur Mees Kinderenzyklopädie, die er auf einem Abfallhaufen gefunden hatte – eine weiße Familie hatte sie weggeworfen. Jetzt
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