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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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fühlte er sich, als wären die Träume, die er seit seiner Kindheit gehegt hatte, in diesen Bücherwänden im Wohnzimmer zum Leben erwacht. Er nahm sich ein Buch und blätterte darin, und die Kostbarkeit pulsierte in seinen Händen. Er schmuggelte Bücher in sein Zimmer und hoffte, dass Rose sie nicht sehen würde, denn sie hatte ihn erschreckt: »Weißt du, die tun nur so, als würden sie die Bücher lesen. Das ist alles Schwindel.«
    Aber er lachte, denn das wollte sie so, schließlich war sie seine Freundin. Er sagte ihr, sie sei wie eine Schwester für ihn. Wie sehr er seine Schwestern vermisste.
     
    In diesem Jahr würde es ein richtiges Weihnachten geben, denn Colin und Andrew würden beide zu Hause sein. Sophies Mutter hatte zu Sophie gesagt, sie wolle ihr nicht den Spaß verderben und sie selbst werde zu ihrer Schwester gehen. Sie war jetzt fröhlicher, weinte nicht mehr Tag und Nacht und nahm an einem Kurs zur Trauerbewältigung teil.
    Weil Johnny zwischen zwei Reisen zu Hause war, würde Andrew sich wohl nicht um Phyllida kümmern müssen.
    Als Frances ihnen eröffnete, dass sie Weihnachten feiern würden, blitzte etwas Frivoles in den Gesichtern und Blicken auf, doch man hielt sich mit den Witzen über das Fest zurück, weil Franklin sich so freute. Er hatte das Gefühl, gar nicht erwarten zu können, dass die Zeit bis zu dem Tag des Festessens verging, von dem er in allen Zeitungen las, das im Fernsehen angekündigt wurde und das die Läden leuchtend bunt erhellte. Insgeheim war er traurig, weil alle sich Geschenke machen würden und er so wenig Geld hatte. Frances war aufgefallen, dass seine Jacke aus dünnem Stoff war, dass er keinen warmen Pullover hatte, und sie hatte ihm Geld gegeben, damit er sich ausstatten konnte. Das war ihr Weihnachtsgeschenk. Er bewahrte das Geld in einer Schublade auf und saß oft auf seinem Bett und wendete es hin und her wie eine Henne, die auf ihren Eiern sitzt. Dass er so viel Geld in den Händen hatte, in
seinen
Händen, gehörte zu dem Wunder, als das ihm Weihnachten erschien. Als er wieder einmal so dasaß, öffnete Rose die Tür, um nach ihm zu sehen, sah, dass er sich über die Schublade mit dem Geld beugte, stürzte sich darauf und zählte es. »Wo hast du das gestohlen?«
    Das entsprach so sehr dem, was er von Weißen zu erwarten gelernt hatte, dass er stammelte: »Aber, Missus, Missus …« Rose kannte das Wort nicht und fragte wieder. »Wo hast du das her?«
    »Frances hat es mir gegeben, damit ich mir Kleider kaufe.«
    Das Gesicht des Mädchens glühte vor Wut. Frances hatte auch ihr etwas gegeben, aber längst nicht so viel, gerade genug für ein Biba-Kleid und einen weiteren Besuch bei Mrs. Evansky. Dann sagte sie: »Du musst keine Kleider kaufen.« Sie setzte sich mit dem Geld in der Hand dicht neben ihn auf das Bett, so dicht, dass Franklin sie nicht mehr verdächtigen konnte, Vorurteile zu haben. Kein Weißer in der ganzen Kolonie, nicht einmal ein weißer Priester würde sich in zwangloser Freundlichkeit so dicht neben einen Schwarzen setzen.
    »Mit diesem Geld kann man was Besseres anfangen«, sagte Rose und gab es ihm widerwillig zurück. Sie beobachtete, wie er es wieder in die Schublade legte.
    Geoffrey kam für einen Abend vorbei, und er machte zusammen mit Rose einen Plan, um Franklin auszustatten. Als er an der LSE angefangen hatte, war er froh gewesen, dass es als selbstverständlich galt, Kleider zu stehlen, Bücher, alles, was man haben wollte, um so das kapitalistische System zu unterminieren. Für etwas zu bezahlen – wirklich, wie politisch naiv konnte man sein? Nein, man »befreite« es: Das alte Wort aus dem Zweiten Weltkrieg wurde zu neuem Leben erweckt.
    Geoffrey würde zu Weihnachten kommen – »Weihnachten muss man zu Hause sein« – und hörte nicht einmal, was er da sagte.
    James meinte, es würde seinen Eltern bestimmt nichts ausmachen, wenn er nicht käme, er werde sie Neujahr besuchen.
    Auch Lucy würde vom Dartington Hall kommen: Ihre Eltern waren auf einer Goodwill-Reise in China.
    Daniel sagte, er müsse nach Hause fahren, er hoffe, sie würden ihm ein Stück Kuchen aufheben.
    Von Jill war ein trauriges Briefchen gekommen. Sie denke an sie alle. Sie seien ihre einzigen Freunde. »Bitte schreibt mir. Bitte schickt Geld.« Sie hatte keine Adresse angegeben.
    Daraufhin schrieb Frances an Jills Eltern, um sich zu erkundigen, ob sie sie gesehen hätten. Sie hatte ihnen schon einmal geschrieben und gestanden, dass es ihr nicht

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