Ein süßer Traum (German Edition)
»Wie lange – ich meine, sind Sie schon lange hier?«
»Ach ja, mein Lieber, lange, lange Zeit.«
Die Wärterin, die Handtuch und Seife schwang, stand in der Tür wie eine Wache und sagte zu Colin: »Das ist ihr Zuhause. Es ist Mollys Zuhause.«
»Ich habe eben kein anderes«, sagte Molly und lachte fröhlich. »Manchmal gehe ich spazieren, und dann komme ich wieder zurück.«
»Ja, Sie gehen spazieren, und Sie kommen nicht immer zurück, und dann müssen wir Sie suchen«, sagte die Aufseherin und lächelte unentwegt.
Colin harrte eine Stunde aus, und als er gerade dachte, dass er gehen musste, weil er es nicht ertragen konnte, kam ein Mädchen herein, das genauso verwirrt war wie er. Anscheinend hatte Molly auch an die Tür ihres Hauses geklopft, nicht am Abend zuvor, sondern Heiligabend.
Das Mädchen, ein hübsches, frisches kleines Ding, dessen Gesicht die gleiche Bestürzung zeigte, die Colin empfand, setzte sich zu ihm und erzählte über ihre Schule, eine gute Mädchenschule, und Molly und ihre Freunde hörten dem Geplauder zu, als wäre es das Neueste aus der fernen Mongolei. Dann sagte die Aufseherin, es sei Zeit für Mollys Bad.
Allgemeine Erleichterung. Molly stand auf und ging hinaus, um zu baden, und die Aufseherin oder Wärterin begleitete sie. »Jetzt sei ein gutes Mädchen, Molly.« Die, die zurückblieben, fingen an zu zanken, wer als Nächstes gehen sollte: Keiner wollte, weil Molly im Badezimmer stets eine Überschwemmung hinterließ.
»Wenn sie fertig ist, ist alles überschwemmt«, sagte eine alte, verwirrte Frau ernst zu den jungen Leuten. »Man könnte meinen, ein Nilpferd wäre drin gewesen.«
»Was weißt du denn von Nilpferden?«, sagte verächtlich ein alter, verwirrter Mann, offenbar ihr Sparringspartner. »Immer redest du, wenn du nicht dran bist.«
»Ich weiß aber alles über Nilpferde«, sagte sie wütend. »Ich habe ihnen immer von der Veranda vor unserem Haus am Limpopo zugesehen.«
»Das kann jeder sagen, dass er ein Haus am Limpopo oder an der blauen Donau hatte«, sagte er. »Wenn niemand das Gegenteil beweisen kann.«
Colin und das Mädchen, das Mandy hieß, verließen das Krankenhaus, und Colin nahm sie zum Abendessen mit nach Hause, wo alle etwas über die gefürchtete Nervenklinik und ihre Insassen hören wollten.
»Sie sind genau wie wir«, sagte Colin, und Mandy ergänzte eifrig: »Ja, ich verstehe nicht, warum sie dort sein müssen.«
Später ging Colin auf Julia los und dann auf seine Mutter. Für ältere Leute, die vom Leben geschlagen sind, ist es schwer, sehr schwer, wenn sie hören müssen, wie idealistische junge Leute Erklärungen für die Traurigkeit der Welt verlangen. »Warum,
warum
bloß?«, wollte Colin wissen. Und es war noch nicht vorbei, denn er ging wieder ins Krankenhaus, aber diesmal erlitt er eine Niederlage, denn Molly hatte seinen Besuch bei ihr bereits vergessen. Schließlich gab er ihr seine Adresse und Telefonnummer: »Falls Sie einmal etwas brauchen« – jemandem, der alles brauchte, vor allem seinen Verstand. Mandy tat dasselbe.
»Das war sehr dumm«, sagte Julia.
»Das war sehr nett«, sagte Frances.
Eine Zeit lang gehörte Mandy zu den »Kindern« am Essenstisch, was einfach für sie war, denn ihre Eltern arbeiteten beide. Sie sagte nicht, dass sie Arschlöcher seien, sondern dass sie ihr Bestes täten. Sie war ein Einzelkind. Dann entführten ihre Eltern sie nach New York, und sie und Colin schrieben sich jahrelang. Zwanzig Jahre sollten vergehen, bis sie sich wiedersahen.
In den achtziger Jahren wurden unter dem Einfluss eines anderen ideologischen Imperativs alle Nervenkliniken und Anstalten geschlossen, und ihre Insassen mussten schwimmen oder untergehen. Colin bekam einen Brief in einer undeutlichen, unordentlichen Handschrift:
Colin
– nur das und die Adresse. Er fuhr nach Brighton und fand sie dort in einer jener Pensionen wieder, in denen Menschenfreunde die früheren Patienten der Nervenkliniken aufnahmen und jeden Penny ihrer Sozialhilfe verlangten, für Zustände, die Dickens bekannt vorgekommen wären.
Sie war eine kranke alte Frau geworden, die er nicht wiedererkannte, aber sie schien ihn zu kennen. »Er hatte so ein freundliches Gesicht«, sagte Molly Marlene Smith – wenn Smith ihr wirklicher Name war. »Sag ihm, dass er so ein nettes Gesicht hatte, dieser Junge. Kennst du Colin?«
Sie starb am Alkohol. Woran auch sonst? Und als Colin sie wieder besuchte, traf er dort Mandy, die inzwischen eine schicke
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