Ein süßer Traum (German Edition)
Chaos hinterlassen, Kleider auf dem Fußboden, Sandwichreste auf einem Stuhl, im Badezimmer Strumpfhosen, die sie zum Trocknen aufgehängt hatte. Aber das war allgemein der Stil der »Kinder« und hatte nichts zu bedeuten.
Frances rief Roses Eltern an. Nein, sie hatten nichts gehört. »Sie sagt, sie geht zur Universität.« »Ach, wirklich? Dann wird sie uns sicher aufklären, wenn es ihr genehm ist.«
Sollte man zur Polizei gehen? Aber das schien im Fall von Rose nicht angemessen. Sie hatten immer ausgiebig und auf der Grundlage der Prinzipien, die den sechziger Jahren entsprachen, diskutiert, ob sie wegen Rose, Jill oder Daniel, der einmal wochenlang verschwunden gewesen war, zur Polizei gehen sollten, und sie hatten sich dagegen entschieden. An die Polypen, die Schweine, die Bullen, an die Wahrer der faschistischen Diktatur (Großbritannien) konnte man sich nicht wenden. Juli … August … Über den Buschfunk, der damals junge Leute über die Kontinente hinweg verband, hatte Geoffrey gehört, dass Rose mit einem amerikanischen Revolutionär in Griechenland war.
Im August hatte Phyllida sich in der Souterrainwohnung niedergelassen. Im September war Rose aufgetaucht, mit einem großen schwarzen Sack, den sie über der Schulter trug und auf den Küchenfußboden fallen ließ.
»Ich bin wieder da«, sagte Rose, »mit meiner ganzen weltlichen Habe.«
»Ich hoffe, du hattest eine schöne Zeit«, sagte Frances.
»Grässlich«, sagte Rose. »Die Griechen sind Arschlöcher. Also, ich richte mich unten wieder ein.«
»Das geht nicht. Warum rufst du nicht vorher an? In der Wohnung wohnt jemand.«
Rose sank auf einen Stuhl, sie war ausnahmsweise erschrocken bis zur Wehrlosigkeit. »Aber … warum denn? Ich sagte doch … das ist nicht fair!«
»Du hast gesagt, du bist weg. Für immer, dachten wir. Und du hast nicht versucht, Kontakt mit uns aufzunehmen und zu sagen, was du für Pläne hast.«
»Aber das ist meine Wohnung.«
»Rose, es tut mir leid.«
»Ich kann mich doch im Wohnzimmer hinhauen.«
»Nein, Rose, das kannst du nicht.«
»Ich habe mein Zeugnis gekriegt. Lauter As.«
»Gratuliere.«
»Ich gehe zur Universität, auf die LSE .«
»Hast du denn schon etwas getan, um aufgenommen zu werden?«
»Ach, Scheiße.«
»Deine Eltern wissen gar nichts davon.«
»Verstehe, es gibt eine Verschwörung gegen mich.«
Rose saß zusammengesunken da, und ihr rundliches Gesicht zeigte eine ungewohnte Verletzlichkeit. Sie sah sich – vielleicht zum ersten, aber sicher nicht zum letzten Mal – ihrem wahren Wesen gegenüber, das dafür geschaffen war, sie in so eine »Scheiße«, wie sie abermals sagte, zu führen. »Scheiße.« Und dann:
»Ich habe vier As.«
»Ich würde dir raten, deine Eltern zu fragen, ob sie die Kosten übernehmen. Wenn ja, dann gehst du zu deiner Schule und bittest darum, dass man ein gutes Wort für dich einlegt, und dann meldest du dich bei der LSE . Aber es ist sehr spät für dieses Jahr.«
»Scheiß doch auf euch alle«, sagte sie.
Sie stand auf, ungefähr so, wie ein angeschossener Vogel sich aufrappelt, nahm ihren großen schwarzen Sack, schleppte sich und ihn zur Tür und verschwand. Langes Schweigen herrschte im Flur. Würde sie sich wieder fangen? Überlegte sie es sich noch einmal? Dann wurde die Haustür zugeschlagen. Sie ging nicht zu ihrer Schule und auch nicht zu ihren Eltern, aber man sah sie in London in Clubs und bei Demonstrationen und politischen Versammlungen.
Kaum hatte Phyllida sich eingerichtet, kam Jill zurück. Es war ein Wochenende, und Andrew war da. Frances und er aßen zu Abend, und sie luden Jill dazu ein.
Sie fragten nicht, was sie gemacht hatte. An beiden Handgelenken waren jetzt Narben, und sie sah aufgedunsen aus. Die ehemals schlanke, adrette, gepflegte Blondine war jetzt zu dick für ihre Kleider, und ihr Gesicht war verquollen. Schließlich erzählte sie es ihnen. Sie war in einer psychiatrischen Klinik gewesen, war weggelaufen, freiwillig zurückgekehrt und hatte dann den Krankenschwestern bei der Arbeit mit den anderen Patienten geholfen. Sie beschloss, dass sie geheilt war, und man stimmte ihr zu. »Glaubt ihr, ihr könnt die Schule dazu bringen, dass ich wieder aufgenommen werde? Wenn ich nur meine Prüfungen machen kann. Ich habe in der Klapse sogar ein bisschen gelernt.«
Wieder sagte Frances, es sei für dieses Jahr etwas spät.
»Könntest du sie fragen?«, sagte Jill, und Frances fragte, und man machte eine Ausnahme für Jill, von
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