Ein sueßes Versprechen
Blick hing wie gebannt an ihr, und er hörte offenkundig kein Wort mehr von dem, was Esme zu ihm sagte.
Der das ihrerseits nicht entgangen war. Sie wirkte überaus zufrieden mit sich.
Während sie sich dem Tisch näherte, sah Loretta ihn finster an. Sie schätzte die Wirkung seiner Aufmerksamkeit nicht im Geringsten. Ihr wurde unter seiner Musterung ganz warm. Zwar errötete sie nicht, aber diese Wärme war irgendwie tiefer.
Sie blieb am Tisch stehen, und er stand auf. Langsam, ganz langsam wanderte sein Blick an ihr aufwärts bis zu ihrem Gesicht.
Sie neigte knapp den Kopf.
»Sir.« Sie blickte quer über den Tisch zu Esme. »Madam.«
Rafe, der das Gefühl hatte, als habe er einen Schlag mit einem Holzknüppel auf den Kopf erhalten, zog den Stuhl gegenüber von Esmes Platz heraus und hielt ihn fest, während Loretta darauf Platz nahm.
Der Kapitän wählte ausgerechnet diesen Moment, um zu ihrem Tisch zu kommen und den letzten Platz zu nehmen, gegenüber von Rafe.
Rafe setzte sich wieder und fühlte sich von widerstreitenden Gefühlen hin- und hergerissen – Verärgerung, dass er mit dem Kapitän um Lorettas Aufmerksamkeit wetteifern musste, und gleichzeitig unendliche Erleichterung, dass dem so war.
Er musste seine Gefühle für Loretta Michelmarsh im Keim ersticken. Das hier war weder der Ort noch die Zeit, sich von Lust beherrschen zu lassen.
Rücksichtslos drängte er seine diesbezüglichen Regungen zurück, schenkte Esme seine Aufmerksamkeit und bemühte sich, sie dort zu belassen – leider nur mit durchwachsenen Ergebnissen.
Das nächste Mal, schwor er sich, würde er sich Loretta gegenübersetzen. Dann könnten ihre Finger seine nicht streifen oder berühren – wie unbeabsichtigt und unschuldig das auch war –, wenn sie einander Speisen reichten.
Am Ende der Mahlzeit fühlte er sich, als seien seine Nerven wund gerieben.
Es war ihm kaum ein Trost, dass es ihr, wie er vermutete, nicht besser erging.
Schließlich erhoben sich alle, um sich für einen Digestif und weitere Unterhaltungen in den angrenzenden Salon zu begeben. Nachdem er Loretta den Stuhl gehalten hatte, während sie aufstand, und ihr in den Salon gefolgt war, bemühte er sich, für den Rest des Abends einen gebührenden Abstand zwischen ihnen zu wahren.
Loretta ging durch den Raum, und jeder Nerv in ihr war zum Zerreißen gespannt. Wenn er sie erneut berührte, nur ihren Arm streifte, würde sie sicher wie ein aufgeschreckter Hase zusammenzucken. So etwas hatte sie noch nie verspürt, solche Gefühle kannte sie nicht, und sie hätte auch sehr gut ohne sie weiterleben können.
Und die Sache wurde nur schlimmer. Sie war sich so sicher gewesen, es würde nachlassen, aber nein. Obwohl sie am anderen Ende des Raumes stand und sich bemühte, Herrn Grubers Bericht über seine Reisen und die seiner Frau zur Burg Godollo zu lauschen – einem Ort, von dem sie dringend mehr hören wollte –, war sie sich mit all ihren Sinnen Rafe Carstairs’ Gegenwart im selben Raum überdeutlich bewusst.
Wie sie damit umgehen sollte – mit ihm –, das wusste sie wirklich nicht.
Wie die Dinge lagen, sah es ganz danach aus, als würde die Reise nach Hause sehr, sehr lang werden.
Kurz nach dem Morgengrauen am nächsten Tag stieg Rafe die Treppe zum Aussichtsdeck empor, um Hassan abzulösen, der die ersten Stunden des Tages Wache gehalten hatte. Da er keine besonderen Vorfälle irgendwelcher Art zu berichten hatte, teilte Hassan ihm diesen Umstand kurz mit und ging in seine Kabine, um ein wenig zu schlafen.
Allein ging Rafe über das offene Deck, genoss die kühle Brise auf dem Fluss und suchte mit den Augen die weiten flachen Felder ab, die sich vom Ufer aus zu den Bergketten im Landesinneren erstreckten. Schneekuppen schimmerten, wenn die Sonnenstrahlen auf die Gipfel fielen. Über den Himmel zogen in rascher Folge Wolken, dick genug, die Sonne zu verdecken. Wasservögel flogen auf, aufgescheucht von dem Schiff.
Rafe bemühte sich, sich auf die Umgebung zu konzentrieren, darauf zu achten, wo vielleicht ein Hinterhalt lauern könnte. Er hielt Ausschau nach möglichen Verstecken und wog die Chancen ab, wo vielleicht Sektenanhänger nah genug an das Schiff herankommen konnten, um an Bord zu gelangen.
Alles, was ihn von seinen Träumen ablenkte, den immer kühneren Bildern, die in seiner Fantasie Wurzeln geschlagen hatten.
Um seine Gedanken davon abzuhalten, sich ständig um die Frau aus besagten Träumen zu drehen, die, wie er wusste, in der Kabine
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