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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkadi Babtschenko
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hochkommen? Die bösen Amerikaner nicht in Georgien reinlassen? Ist das nicht wahr?
    ***
    Man könnte ganz Georgien mit Luftabwehrgeschützen vollstellen, Russland würde das nicht kratzen. Russland ist nicht der Irak. Um Russland zu erobern, müsste man die gesamte Bevölkerung Europas und Amerikas mobilisieren. Aber die Welt hat sich verändert. Kein Hitler, kein Stalin und kein Tschingis Chan wäre heute dazu in der Lage. Die Menschen wollen keinen Krieg. In ihrer Masse wollen sie Bier trinken, fernsehen und nichts denken. Sie haben verstanden, dass man all das mit Geld erreichen kann.
    Nehmen wir an, Georgien wird NATO -Mitglied, führt Englisch als zweite Amtssprache ein und den Dollar als zweite Währung, lernt «America the Beautiful» und spricht Bush heilig. Ja, und? Ein Wirtschaftsembargo besteht bereits, Handel und Verkehr sind unterbrochen.
    Wozu also dieser Krieg? Was ist das Ergebnis? Wer hat dadurch gewonnen? Russland? Medwedjew hat kein einziges seiner Ziele erreicht. Saakaschwili hat er nicht gestürzt, die NATO hat er in den Kaukasus gelockt, sich ein Pulverfass vor seine Haustür geholt, sich das Image eines Aggressors zugelegt, einen kleinen kalten Krieg begonnen, das Land um zehn Jahre zurückgeworfen – und Menschen geopfert!
    Man schützt seine Bürger nicht, indem man fremde Bürger umbringt und ihr Gebiet besetzt. Es wäre ziemlich seltsam, wenn die Türkei in Tschetschenien türkische Pässe verteilen würde, um dann Naltschik zu bombardieren und ihre Truppen in Krasnodar einmarschieren zu lassen.
    Im Ergebnis wird Georgien in die NATO fliegen wie eine Panzerfaust auf den Flügeln der Liebe, und statt der afroamerikanischen Instrukteure werden wir im Kaukasus Tomahawks und Bradleys haben, im Schwarzen Meer Linkor-Kanonen und Stützpunkte auf der Krim.
    Einen weitsichtigeren Politiker kann man sich schwer vorstellen. Wie kann man es überhaupt schaffen, eine anfängliche Gewinnposition mit so guten Karten zu vermasseln?
    Hat Ossetien vielleicht gewonnen? Zchinwali zerbombt, Hunderte Gefallene, die Posttraumatische Belastungsstörung bei hundert Prozent der Bevölkerung, Armut, Arbeitslosigkeit, die im Verein mit dem Hass unausweichlich zum Banditentum und zur neuerlichen Eskalation des Konflikts führen wird, internationale Isolation und die einzige Verbindung zur Welt – wieder durch den Rok-Tunnel.
    Und Georgien? Niederlage, Gesichtsverlust, verlorene Militärtechnik, getötete Menschen, russische Panzer vor Tiflis, vollständiger und endgültiger Verlust von Abchasien und Ossetien. Geld für die Wiederaufrüstung und neue Panzer werden sie bekommen. Aber wozu das? Panzer wollen ja eingesetzt werden. Hat Georgien es nötig, Aufmarschplatz für das Ringen zweier Welten zu sein? Was bleibt von ihm übrig, wenn Putin und Rice sich dort die Köpfe einschlagen? Es gab doch schon Korea, Vietnam, Afghanistan, Jugoslawien … Wozu Amerika einen Spannungsherd in Georgien braucht, ist klar, aber Georgien selbst?
    Im Ergebnis haben nur vier Menschen Dividenden aus diesem Krieg geschlagen: Medwedjew (sofortiger Anstieg des Ratings von vierzig auf achtzig Prozent), Saakaschwili (Unterstützung des Westens), Kokoity (eigenes Fürstentum und uneingeschränkte Selbstherrschaft) und McCain (das verstehe ich nun überhaupt nicht – wo ist Georgien und wo bitte McCain?).
    Niemand dieser Leute hat gekämpft. Keins von den Kindern dieser Leute hat gekämpft. Kein Verwandter dieser Leute ist bombardiert worden.
    Alle anderen – Tausende und Abertausende – haben verloren.
    Das war ein Krieg zwischen dem persönlichen Ehrgeiz dieser vier.
    Kinder, vielleicht nehmt ihr nächstes Mal einfach ein Lineal und messt auf der Toilette nach?
    ***
    Man versteht nicht, was Georgien mit dem Beschuss erreichen wollte. Es gab keinen Sturm von Zchinwali, kein anschließendes Halten der Stadt. Sonst würde sie heute ganz anders aussehen. Die georgische Armee war entweder absolut unfähig zu einem Sturm, oder, was wahrscheinlicher ist, diese Aufgabe wurde ihr nicht gestellt – Zchinwali stand leer. Nur die Vorhut betrat die Stadt. Sie kutschierte mit einem Dutzend Panzer herum, setzte die Straßen in Brand, zog sich dann auf die Höhen zurück, und als die russische Armee kam, zogen die Georgier vollständig ab.
    Möglicherweise hat Saakaschwili in Vorahnung des Krieges tatsächlich beschlossen, den ursprünglichen Schauplatz von Georgien nach Ossetien zu verlagern und währenddessen die eigene Bevölkerung zu

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