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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkadi Babtschenko
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weggebracht werden konnten! Sechs Stunden! Die ganze Zeit schmorten sie bei dreißig Grad ohne Wasser in den Fahrzeugen – bis die Jamadajew-Leute die Sache in die Hand nahmen. Dabei waren nur sieben, zehn Kilometer zurückzulegen.
    Weshalb gab es keine Aufklärung? Weshalb keine Luftunterstützung? Weshalb ist man so idiotisch in Zemo-Nikosi einmarschiert, wie die Brigade von Majkop vor dreizehn Jahren auf den Bahnhofsvorplatz in Grozny – einfach weil sie sich verirrt hatten? Zum vierten Mal auf die gleiche Heugabel getreten! Weshalb gab es keine Funkverbindung zwischen den Einheiten? Weshalb kein gemeinsames Kommando? Weshalb?
    Wo ist das versprochene groß angelegte Programm zur Aufrüstung? Wo ist die Berufsarmee? Wo die Nanotechnologie? Wo sind die Informationssysteme, wo die Peilgeräte, wo ist die elektronische Kampfführung, wo das Überlagerungs-Wärmesichtgerät, das seit fünf Jahren an der MVTU entwickelt wird und Ziele hinter einer meterdicken Betonwand erkennen soll, aber erst einmal (!) in den Export gehen soll? Wo ist euer beschissenes Navigationssystem «Glonass», das die Kurve nach Zemo-Nikosi richtig angezeigt hätte, und nicht die Sterne? Wo ist der BTR - 90 , wo der Panzer «Schwarzer Adler», wo der Hubschrauber «Schwarzer Hai», wo der Jagdbomber «Berkut», wo der BMD - 4 , wo der «Tiger», wo der «Schiffer», wo der «Msta-S», mit denen ihr auf den Paraden so angebt? Wo ist das Maschinengewehr «Kord», wo die MP «Abakan», wo der Komplex «Vintorez», wo der Panzerverteidigungskomplex «Arena», vor sechzehn Jahren entwickelt und seit sechzehn Jahren mit keinem einzigen (!) Exemplar vom Verteidigungsministerium angekauft – dabei holen die Amerikaner ihn bei uns mit Dampfern ab? Die «Arena» ist gerade für den Schutz von Panzern vor Raketen gedacht. Wäre sie einsatzbereit gewesen, hätte das Leben von drei Jungs in diesem Zemo-Nikosi gerettet werden können! Wo ist sie? Wo sind die neuen Granatwerfer, von denen allen auf RTR die Ohren dröhnten? Wo sind die Drohnen, die Nachtleuchten, die RLS -Radargeräte? Wo sind die unfallsicheren Motorschlitten? Warum war der letzte Verwundete, den ich bergen musste, ein kleiner Leutnant, der bei Dzhawa verunglückt war – an seinem Motorschlitten hatten bei dem Gefälle schlicht die abgenutzten Bremsen versagt! Wo sind die Mullbinden, die Abschnürverbände, wo ist das Promedol? Wo sind wenigstens die Helme? Und wo ist das Geld, das für all das bestimmt war?
    Wo sind die Generäle? Wo die Kommandeure jeglicher Couleur, wenn doch hier Geschichte geschrieben wird? Wo ist Medwedjew auf seinem Schimmel? Wo Nowogizyn mit dem Säbel in der Hand? Wo ist überhaupt irgendwer?
    Und wo, verdammte Scheiße, gibt es frisches Wasser?
    ***
    Russland stand nur eine Variante offen – reingehen, den eigenen Friedenstruppen Entsatz bringen, Friedenstruppen an der Grenze stationieren und stop. Wozu zum Teufel dann noch in Georgien einmarschieren? Wozu Gori bombardieren? Und vor allem – wozu wieder mal junge Burschen in den Krieg hetzen?
    Georgien entschied, dass Ossetien zu Georgien gehören soll. Georgische Männer griffen nach den Maschinenpistolen und zogen in den Kampf für ihr Vaterland.
    Ossetien entschied, dass es nicht länger zu Georgien gehören will. Ossetische Männer griffen nach den Maschinenpistolen und zogen in den Kampf für ihr Vaterland.
    Nur Russland schickte seine Jungs in den Krieg.
    Südossetien ist insgesamt hundert Kilometer lang und anderthalb Kilometer breit. In Russland sind sechzig Prozent der Fläche unbesiedelt. Ohne Ossetien sind wir nicht überlebensfähig, keine Frage. Für diese hundert Kilometer wurden vierundsiebzig Leben geopfert.
    Alles ist so wie immer. Die ganze Welt kämpft mit russischen Waffen, nur Russland kämpft mit seinen Jungs. Ein sturer Staat, der Leichen aneinanderreiht wie Eisenbahnschwellen.
    ***
    Ich schaue mir diese Leichen an – unsere Leichen, von unseren Jungs – und ertappe mich plötzlich bei dem Gedanken, dass der Preis für den Sieg gar nicht allzu hoch ist. Schließlich haben wir gesiegt. Die Burschen haben heldenhaft gekämpft.
    Das Schrecklichste ist, dass ich wirklich so denke. Ich habe keine Angst. Ich verliere nicht den Verstand. Ich bedecke mein Haupt nicht mit Asche. Ja, sie haben Pech gehabt … Was kann man machen? Das ist Krieg. Aber wir haben gesiegt!
    Nein, sagt doch, neun verbrannte Klumpen am Tag – ist das zu viel dafür, dass wir endlich wieder von den Knien

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