Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
kratzt die ganze Zeit in der Kehle. Auf dem Asphalt Haustrümmer, Schiefer von den Dächern. Verendete Kühe. An einer Stelle stehen zwei abgeschossene Ikarus.
Sämtliche von den Georgiern neu errichteten Gebäude – das Kino, die Handelszentren, es scheint, sogar das Schwimmbad – sind in Grund und Boden geschossen, abgebrannt. Das ist kein Marodieren, das ist ein Kreuzzug – alles Georgische ausrotten, damit keine Spur davon bleibt. Hier wird im Augenblick das Fundament für einen neuen, großen Krieg gelegt. Die Praxis zeigt, dass die Probleme immer dann beginnen, wenn eine Republik monoethnisch wird. In Georgien leben Georgier, Armenier, Zigeuner, Russen, Juden. In Südossetien nur Osseten. In Abchasien nur Abchasier. In Tschetschenien nur Tschetschenen.
Dieser Massenexodus wirkt unheimlich. Eben lebten hier noch Menschen, jetzt sind nur tote Dörfer übrig.
In Zchinwali habe ich ganz andere Menschen gesehen als hier in Tamarascheni. In Zchinwali waren die Menschen zerknittert, unrasiert, kaum zu einem Wort fähig – bereit zu sterben. Und es waren nicht viele. In Tamarascheni tragen die Leute neue, makellose Tarnanzüge, sie kommen, um fremde Häuser niederzubrennen und auszuplündern. Und es sind viele.
So ist es immer. Die Nähe des Todes macht die Menschen reiner. Und Tapferkeit grenzt an Dreck.
Am Randstreifen, neben seinem niedergebrannten Haus, sitzt ein georgischer Greis mit blutigem Kopf. Meiner Meinung nach der einzig übriggebliebene Georgier aus allen vier Dörfern.
Auf die Frage, warum friedliche Georgier nicht in ihre Häuser zurückkehren sollten, sie leben hier doch seit vielen Jahrzehnten, enden alle Gespräche.
Unangetastet geblieben ist nur die Tankstelle von Lukoil. Tanken ist dennoch schwierig, es ist die einzige Station vor dem Gebirgspass.
***
Orhan ist schon im Stab. Kurz nach meinem Abflug kam das offizielle Chiffriertelegramm über die Einstellung des Krieges. Jamadajew wurde zu einer Besprechung gerufen. Orhan fuhr mit ihm.
Wir erwischen ein Auto zurück nach Dzhawa, von dort nach Wladikawkaz. Von Geld ist keine Rede.
Am Zoll interessiert sich ein FSB -Beamter unbekannten Ranges und Namens lange dafür, wie ich nach Südossetien gelangt bin und warum ich keinen Grenzstempel im Pass habe. Je tiefer die Etappe, desto fetter die Generäle. Und misstrauischer als Rambo. In Zchinwali hat niemand auch nur einmal meine Papiere kontrolliert. In Dzhawa wurde ich viermal angehalten. Einmal vom «Kommandeur eines südossetischen Panzerbataillons». Offenbar wegen meines Beuterucksacks. Aber nach Zchinwali hat er mich nicht mitgenommen. Das war nicht seine Richtung.
Dem FSB -Mann erklärte ich, wie es war: Ich bin als Freiwilliger gekommen. Ich muss sogar irgendwo auf eurer Liste stehen. Und warum Sie mir keinen Stempel gegeben haben, das müssen Sie Ihre Leute fragen. Wenn Sie wollen, rufe ich beim FSB in Moskau an und frage, wer damals Dienst hatte. Sie führten mich bei Nacht im Gebirge hinaus, steckten mir den Pass zu – und tschüs.
Orhan war mit Geheimdiensten unterwegs und wollte sie nicht beim Namen nennen. Er weigerte sich auch, sein Telefon auszuschalten. Ihn hielten sie fest.
Die Leute, die mich zum Zoll gebracht hatten, waren schon weitergefahren. Mein Mobiltelefon war ausgegangen. Nachts ohne Handy an der Straße zu stehen hat keinen Sinn. Ich beschloss, in ein Hotel zu fahren und von dort aus Rabbatz zu machen – schließlich musste ich meinen Kameraden irgendwo rausholen. Ich hielt einen hundertjährigen, klapprigen Mercedes mit zwei finsteren Insassen an. Wie Marodeure sahen sie nicht aus. Sie wollten wohl in den Krieg, haben ihn aber nicht gefunden. Russisch verstanden sie kaum, nur einfache Redewendungen. Mir hörten sie mit offenen Mündern zu, brachten mich aber nicht ins Zentrum, sondern setzten mich am Stadtrand ab.
Ich halte ein Taxi an. Der Fahrer interessiert sich lebhaft dafür, was jenseits des Passes los ist. Er ist uneingeschränkt aufseiten Russlands, der Armee und des Krieges. Aber mir knöpft er die doppelte Summe ab.
Vorwürfe sind da zwecklos. Die Menschen lernen sehr schnell, wie sie am Krieg ein bisschen verdienen. So war das immer. Auch in Tschetschenien.
Im Hotel ist kein Zimmer frei. Ich verabrede mich mit Tamik im Moskwitsch. Ein toller Kerl. Er geht für mich und erkundigt sich. Wir ziehen durch die Stadt – alles vernagelt, wir fahren zum Flughafen – alles geschlossen. Schließlich brechen wir hastig nach Mineralnyje Wody
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