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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkadi Babtschenko
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mobilisieren. Auf jeden Fall sind aus militärischer Sicht keine anderen logischen Gründe zu erkennen. Zchinwali wurde von drei Panzerbataillonen und sechshundert bis zweitausend Infanteriesoldaten erreicht. Es ist unmöglich, eine Stadt mit einem einzigen Regiment einigermaßen lange zu halten.
    Die südossetische Armee war ebenfalls völlig unfähig zu Kampfhandlungen. Von den siebzigtausend Einwohnern der Republik Südossetien waren dreihundert geblieben, um die Stadt zu verteidigen. Dreihundert! In zerstreuten Gruppen ohne gemeinsames Kommando. Eduard Kokoity, der fünfzehn Jahre lang die antigeorgische Hysterie gepflegt hat, floh beim ersten Schuss, ließ seine Leute im Stich, die er so fanatisch in den Krieg getrieben hatte.
    Der Krieg trug lokalen Charakter, auch wenn die einzelnen Brennpunkte sehr intensiv waren. Aber in all diesen Brennpunkten kämpften Russen. Der einzige Kampf in der Stadt wurde um das Bataillon Friedenssoldaten ausgefochten. Dafür, dass Südossetien als monoethnische Republik leben konnte, mussten russische Jungs ihr Leben lassen.
    Nein, zu Georgiern und Osseten habe ich die gleiche Einstellung – eine gute. Aber wozu das Katastrophenministerium in Südossetien, die Psychologen, die humanitäre Hilfe, Geld, Haushalt, Flüchtlingslager, Transport … Während bei uns – was bekommen unsere Leute? Wo sind die Psychologen für die Mütter unserer Soldaten, wo sind das Geld und die humanitäre Hilfe? Wo die Beileidsbekundungen und Ehrenbezeigungen? Wo werden wenigstens die Gefallenen ohne Scherereien identifiziert, nach Hause gebracht und bestattet?
    Die russischen Flüchtlinge aus Tschetschenien leben bis heute in Baracken – eigentlich kann man das nicht mal Baracken nennen, es sind faulige Sperrholzhütten. Die nächstgelegene Siedlung liegt keine hundert Kilometer von Moskau, an der Istra. Ich bin dort gewesen.
    Jetzt strömen auch noch die Milliarden hierher. Wieso hat Europa in jedem Dorf unser Gas, aber dem Großvater meiner Frau, einem Kriegsinvaliden, kann man seit nunmehr zehn Jahren keins ins Dorf legen? Wieso fanden sich für die Gasleitung nach Zchinwali 740  Millionen Rubel, für ihn aber, der im Krieg das Augenlicht verloren hat, nicht einmal zehntausend? Wieso sind Haushaltsgelder nach Zchinwali geflossen, während Dima Lachin, der in Tschetschenien beide Beine verloren hat, gerade mal 2300  Rubel Rente vom Vaterland bekam, wo er doch allein für die Katheter schon mindestens 4500  Rubel bezahlen muss? Dima Lachin ist inzwischen gestorben.
    ***
    Der erste «kleine, siegreiche» Krieg bei uns begann 1905 . Das ist hundert Jahre her. Und nichts hat sich geändert. Nach wie vor eine Sklavenarmee, die erst ganz zuletzt an ihre eigenen Soldaten denkt. Immer noch das gleiche großmannssüchtige Imperium mit einer viehischen Einstellung zu den eigenen Menschen, mit keiner anderen Macht als der gottgegebenen. Und die gleiche Bereitschaft, das Leben der Kinder für Glauben, Zar und Vaterland zu opfern.
    Im Übrigen muss man sagen, dass Dmitrij Medwedjew in fünf Tagen das erreicht hat, was seinem Vorgänger fünfzehn Jahre lang verwehrt blieb. Er hat einen neuen Nationalgedanken entdeckt. Genauer gesagt, den alten wiedergefunden – sich selbst opfern, damit es den Feinden schlechter geht. Und Feinde sind alle ringsum. Russland hat wie bisher zwei Verbündete – Armee und Flotte.
    Das ist die Denkart des neunzehnten Jahrhunderts.
    Ich erinnere mich nicht, welcher Weise gesagt hat: Wir sind nicht deshalb so wütend, weil wir schlecht leben. Wir leben so schlecht, weil wir so wütend sind.
    ***
    Von Dzhawa fahre ich zurück nach Zchinwali. Die Straße ist frei. In den georgischen Dörfern an der Transkam steht alles in Flammen. Eine Euphorie des Zerstörens und Plünderns. Die Rache ist immer grausam.
    Man transportiert Stühle, Schränke, Tische, Regale, Matratzen, Kissen, Kühlschränke, Kübel mit Fikussen, fährt Motorroller, Fahrräder, schleppt halb kaputte Autos an Stahlseilen ab, fährt auf Kotflügeln, in Karosserien, auf Dächern … Einer fährt einen Traktor Marke Belorus nach Zchinwali, mit Kübel, aber ohne Deckel. Zwei Krieger versuchen, einen Hammel in den Kofferraum ihres Zhiguli zu stopfen. Fünf Mann treiben mit vereinten Kräften eine Kuhherde in Richtung Roki.
    Was sie nicht mitnehmen können, verbrennen sie. Die Häuser stehen ausnahmslos in Flammen. Rauch hängt über der Straße, streckenweise fahren wir wie durch Nebel. Der bittere Brandgeruch

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