Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
Feind zeigen kann. Du bist oben. Das reicht.
In Falludscha zum Beispiel bestand meine Arbeit darin, Leichen zu durchsuchen. Das war, als die Aufständischen die Stadt eingenommen hatten und wir sie zurückzuerobern versuchten. Ich sollte herausfinden, ob unter den Gefallenen Ausländer waren. Die Idee war, zu zeigen, wie viele Ausländer aufseiten der Iraker kämpfen. Ein politisch-agitatorisches Manöver, soll heißen, die Iraker selbst vergöttern die Amerikaner, alle Probleme kommen nur von den Söldnern. Meine Kameraden, die ebenfalls Leichen durchsuchten, verstanden den Wunsch der Führung und bemühten sich, ihre Berichte entsprechend anzupassen. Wenn zum Beispiel jemand ein aus dem Libanon importiertes Hemd trug, dann war er gleich ein Libanese. Fand man syrisches Geld in seinen Taschen, war er ein Syrer. Auf diese Weise fanden sich dort sehr viele Söldner – Algerier, Ägypter, Syrer, Libanesen …»
«Gab es viele Gefallene?»
«Ganz Falludscha war voll von Leichen! Wir haben … na, bestimmt fünfhundert Menschen durchsucht. Wir trugen sie alle in ein riesiges Lagergebäude, das wir auch selbst bewohnten. Einen ganzen Monat lang haben wir mit ihnen dort gehaust. Niemand machte sich Gedanken, wie man sie loswerden könnte. Die amerikanische Aufklärung hätte es natürlich am liebsten gehabt, dass in Falludscha einzig und allein Rebellen geblieben wären, die sie dann alle vernichten würden. Als wir diese Leichen durchsuchten, waren da in Wirklichkeit eine Menge Frauen, Kinder, Kleinkinder, Greise. Mit einem Wort: Zivilbevölkerung.»
«Wenn dir klarwurde, dass der vor dir sitzende Mensch kein Aufständischer war, sondern ein Taxifahrer oder ein Bauer, was hast du dann getan? Was passierte überhaupt mit ihnen danach?»
«Manchmal schrieb ich, dass der Mann unschuldig ist. Im Allgemeinen tat ich das jedoch nicht. Denn dann hätte man mir vorgeworfen, dass ich ihn zu weich behandelt habe. Wir konnten auch gar nicht festlegen, ob er schuldig oder unschuldig war, das lag nicht in unserer Kompetenz. Wir konnten nur sagen, dass er keine nützlichen Informationen bereithielt.»
«Und wenn er keine Informationen bereithielt, dann wurde er entlassen?»
«Nein. In der überwältigenden Mehrheit der Fälle hat man sie nicht entlassen, sondern schickte sie nach Abu-Ghraib weiter. Zog sie nackt aus und setzte sie in Kältekammern. In Isolationshaft verbrachten sie mehrere Monate. Entlassen wurde sehr selten jemand. Wenn jemand verhaftet war, dann war es aus, dann saß er.»
«Aber dir war schon klar, dass du Menschen vor dir hast, oder war das dein Job?»
«Das kann man so allgemein nicht beantworten. Jeder konkrete Fall war anders. Das hing vom einzelnen Menschen ab. Manchmal wurde mir bewusst, dass ich einen lebendigen Menschen vor mir hatte, und ich entschuldigte mich sogar bei ihm. Dann wieder erfüllte ich nur meine Aufgabe, die darin bestand, Geständnisse aus ihm herauszuholen.»
«Und was war das Ziel – die Größe Amerikas bewahren, der Sieg im Krieg, die Suche nach der Wahrheit …?»
«Ich habe von Anfang an nicht an den Krieg geglaubt. Aber da wir schon einmal einmarschiert waren, dachte ich, wir sollten einen friedlichen Irak schaffen. Ihn säubern von Aufständischen, friedliche Verhältnisse schaffen, ein stabiles Leben.»
«Das heißt, du hast das für irgendein höheres Ziel getan.»
«Ja, ich hatte damals irgendein höheres Ziel, und dieses Ziel ermöglichte es mir, schreckliche Sachen mit den Leuten anzustellen. Weißt du, bis zu deinem Vortrag heute, als du von dem an den Baum gebundenen Tschetschenen sprachst, habe ich nicht darüber nachgedacht … Wir empfanden ungefähr das Gleiche – wir dachten, wir tun ihnen einen Gefallen. Ich hätte ihnen ja auch sämtliche Knochen brechen, sämtliche Organe kaputt hauen können. Aber ich habe es nicht getan. Und mir schien, dass wir die Menschen auf eine Weise auch retten. Wir machten sie ja nicht zu Krüppeln. Ein Mensch darf eine Zeitlang nicht schlafen, na und? Auch wir haben manchmal nicht geschlafen. Oder er wird der Kälte ausgesetzt – auch uns war kalt in den Schützengräben. Im Krieg wird das Wertesystem, das System von Gut und Böse auf den Kopf gestellt. Ich habe in der ersten Zeit wirklich nicht verstanden, was wir da taten. Wir dachten, wir seien gute Jungs.
Und heute, wenn ich den Menschen in Amerika erzähle, dass wir den Gefangenen Schlaf entzogen oder sie mit kaltem Wasser übergossen haben, dann bekomme ich zu
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