Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
hören: ‹Na ja, eigentlich ist das ja nicht so eine schreckliche Folter.› Aber tatsächlich ist es eine richtige Folter. Es hat fürchterliche Folgen.»
«Was hat dir die Augen geöffnet?»
«Es gab nicht den einen Moment der Bewusstwerdung. Das hat sich allmählich akkumuliert. Manchmal habe ich einen Menschen gefoltert und dabei gedacht: Herrgott, was tue ich hier, der ist doch unschuldig! Dann las ich ein Buch von Viktor Frankl, einem Auschwitzhäftling, der überlebt hat, Psychiater wurde und eine Theorie darüber schrieb, was mit der Psyche des Menschen in einem solchen Fall passiert, und ich begriff, dass ich das Gleiche tue wie die Nazis. Als der Skandal um Abu-Ghraib aufflog, als diese Fotos auftauchten und die Welt von all dem erfuhr, verstand ich plötzlich, dass dieses Wertesystem, in dem ich lebe, vom Rest der Welt nicht geteilt wird. Wir sind es gewohnt, von lauter Menschen umgeben zu sein, die so denken wie wir selbst. Dann auf einmal erkennt man, wie einen die anderen sehen. Ich bekam einen Schock.
Im Lager in Babil erzählte ich meinen Vorgesetzten von allem, was dort vor sich ging. Ich zählte einfach alle Körperverletzungen auf, die den Gefangenen zugefügt wurden. Sie wurden in Gruppen zusammengefasst, jeder wurde vernommen, und sie erzählten, was man mit ihnen gemacht hatte. Ich schrieb das alles auf. Und legte es dem leitenden Offizier der Marineinfanterie vor. Er war verpflichtet, das an die juristische Abteilung zu leiten. Das verbreitete sich im ganzen Lager … Doch erstens wurde meine Beschwerde überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Und zweitens übte man danach so einen Druck auf mich aus, dass ich wirklich Angst um mein Leben bekam. Ich fürchtete mich, auch nur in die Kantine zu gehen. Man drückte mich zum Beispiel in eine Ecke und sagte: ‹Du hältst dich wohl für oberschlau? Du feige Ratte, sympathisierst mit den Irakern … Warte nur, wir werden es dir zeigen.› Die Marines riefen bei meiner Mutter an und drohten auch ihr. Ich nahm diese Drohungen ernst, denn ich kannte diese Leute und wusste, dass das Töten ihr alltägliches Geschäft ist. Ihr Wort hatte Gewicht. Am Ende jagte man mich raus, nach Falludscha. Einen Monat später kehrte ich nach Hause zurück, in die USA .»
«Hast du irgendwie versucht zu verfolgen, was aus deiner Beschwerde geworden ist?»
«Ja, nach zwei Jahren bin ich noch mal in die Abteilung für Strafermittlungen gegangen und habe gefragt, ob es Fortschritte gebe. Was denn, Sie hatten eine Beschwerde?, wunderten die sich. Bei uns steht davon nichts. Sie hatten nicht die geringste Anstrengung unternommen, etwas aufzuklären.»
«Warum hast du angefangen zu schreiben?»
«Zu Hause bekam ich irgendwann Anfälle. Ich hatte das Gefühl zu ersticken, nicht atmen zu können, glaubte zu sterben. Ich begann heftig zu trinken. Bekam Halluzinationen, wurde von Albträumen heimgesucht, konnte nicht schlafen, ertrug keine laute Musik …»
«Wie waren die Reaktionen auf dein Buch?»
«Ganz unterschiedlich. Die Armee, die Marineinfanterie waren sehr böse auf mich, natürlich, weil sie glaubten, ich bewerfe die Armee mit Dreck. Aber manche Menschen, die bei mir waren, dankten mir dafür, dass ich die Wahrheit erzählt hatte. Insgesamt kann man die Reaktion so beschreiben: ein völlig überflüssiges, kleines Büchlein, am besten, wir verlieren kein Wort darüber. Nicht mal meine eigene Universität will mit mir reden, sie tut so, als gäbe es mich nicht.»
«Womit beschäftigst du dich zurzeit?»
«Ich bin Rausschmeißer in einer Bar.»
«Dein Arabisch hat dir also nicht viel gebracht …»
«Nein. In Washington, an der Gedenkmauer für die Vietnamveteranen, konnte ich mich eines Gedankens nicht erwehren: Das Denkmal zeugt vorbildlich vom Verhältnis des Staates zu seinen Soldaten. Eine fünf Meter hohe und dreihundert Meter lange schwarze Granitmauer mit eingravierten Namen. Es heißt, alle sind dabei. Bis zum letzten Mann. Niemand wurde vergessen.
Aber als ich an diesem wirklich beeindruckenden Denkmal stand, wollte mir eines einfach nicht in den Kopf: Wenn du deine Soldaten so sehr schätzt, warum schickst du sie dann über den Ozean zum Töten und zum Sterben, um ihnen danach Denkmäler für viele Millionen Dollar zu errichten? Wäre es nicht besser, dieses Geld für sie auszugeben, solange sie leben? Und solange die Menschen jenseits des Ozeans leben?»
Da finde ich unsere Einstellung «einen Plastikkranz vom Vaterland» aufrichtiger und
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