Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
dauerte mehr als vierundzwanzig Stunden. In dieser Zeit hätte man sogar von Kuba Entsatz schicken können. Jemand hat sie im Stich gelassen, die Luftlandetruppen.
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Bei Anbruch der Dämmerung landen wir in Kurtschaloje. Es heißt, das sei eines der gefährlichsten Gebiete vor Ort, wenn es auch eine Ebene ist. Auch hier hat der Krieg sein Tempo erheblich verlangsamt. Der letzte Sabotageangriff in dieser Gegend ist zweieinhalb Monate her. Am 23 . Dezember fuhr ein Schützenpanzer der 33 . «Petersburger» Brigade auf eine Mine. Die Falle war mitten auf der Fahrbahn installiert und detonierte genau unter dem Fahrzeug.
«Jetzt geht es so einigermaßen», sagt der amtierende Brigadekommandeur, Oberst Michail Pedora. «Beschuss gab es schon lange keinen mehr. Und auch Sprengfallen werden nicht so oft gelegt – die Ingenieure der Aufklärung säubern die Straßen jeden Morgen. Etwa drei Stück im Monat müssen wir dennoch beseitigen. In der Regel am Morgen – ausgelegt werden sie nachts. Von wem? Weiß der Teufel. Einheimische bestimmt …»
Ein toter Schützenpanzer, mit Zeltplane bedeckt, steht am Rand des Hubschrauberlandeplatzes. Das Geschützrohr ist abgerissen, der Boden in einer Rosette ins Fahrzeuggehäuse gedrückt. Die scharfen Ränder des aufgerissenen Metalls biegen sich genau dort nach oben, wo die Beine des Richtschützen gewesen sein müssen.
Daneben steht noch einer, ebenfalls tot – Wochen vorher verbrannt. Auch mit Zeltplane zugedeckt. Sie sehen fast aus wie Leichen. Auch die wurden in der Hitze des Gefechts am Rand der Landebahn abgelegt und mit Zeltplane zugedeckt. Nur waren es zigmal so viele.
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Am Ausgang des Kontrollpunkts der Brigade hängen zwei Plakate: «Soldat! Sprich nicht mit Fremden, das ist gefährlich!» und: «Soldat! Heb nichts vom Boden auf, das ist gefährlich!»
«Es kommt vor, dass der Sprengstoff sehr geschickt versteckt wird», erzählt Pedora. «Da geht ein Soldat die Straße entlang, sieht eine Schachtel oder einen Kinderfußball. Zack, kickt er mit dem Fuß danach – und in dem Ding ist ein Sensor. Schon ist der halbe Fuß weg. Um solche Überraschungseier kümmern sich unsere Spezialisten.»
Überhaupt ist niemand einfallsreicher beim Erdenken von Slogans und Plakaten als das Militär. In Chankala werden die Krieger, die zu einem Säuberungseinsatz fahren, mit einem väterlichen Gruß verabschiedet: «Gute Reise!»
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Ich fahre und fahre durch Tschetschenien … Nein, alles nicht mehr wie früher. Vermutlich geht der Krieg wirklich zu Ende. Vermutlich hat mein soldatisches Gespür für unheilvolle Orte mich getrogen. Vielleicht sollte man hier bald ein Sanatorium eröffnen? Schließlich gibt es hier einmalige Schwefelquellen, fast sämtliche Krankheiten kann man in den Geysiren des tschetschenischen Flachlands behandeln. Als Soldat habe ich mich in Grozny von den Geschwüren geheilt, die sich vom Dreck, von der Kälte und den Nerven auf meiner Haut gebildet hatten. Nur kam man damals ausschließlich robbend an die Quelle heran, denn es wurde scharf geschossen. Jetzt sind neben den Geysiren Autowaschanlagen entstanden, die Bevölkerung macht ihr Geschäft mit dem kostenlosen heißen Wasser.
Vermutlich wird tatsächlich bald Frieden sein.
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Im Stab der 33 . Brigade befindet sich der Posten des Gefreiten Roman Lenudkin aus Petersburg. Lenudkin ist kein Scharfschütze, kein MP -Schütze und auch kein Fahrzeugführer. Lenudkin ist Computerspezialist. Sein Pentium 100 steht in einem «Schmetterling» – einem Spezialfahrzeug des Stabes – und wird von einem benzingetriebenen Stromgenerator gespeist.
Als wir starten, drücke ich das Gesicht an die Scheibe. Wieder erfasst mich dieser zwiespältige Eindruck. Dort, im nächtlichen Tschetschenien, steht jetzt ein toter Schützenpanzer. Das Blut, das aus den abgerissenen Beinen des Richtkanoniers floss, ist noch nicht von der Panzerung gewaschen. Und daneben, keine hundert Meter entfernt, sitzt der Programmierer Lenudkin im «Schmetterling» des Stabes und hackt auf seiner Computertastatur herum.
Dann schwebt der Hubschrauber über dem kleinen Landeplatz auf einer kahlen, ebenen Hügelfläche bei Nozhaj-Jurt. Ein, zwei Sekunden hält sich die Maschine in der entspannten Luft, dann kommt der Motor mit seinen dreitausend PS nicht mehr gegen die anderthalb Tonnen humanitärer Hilfe im Laderaum an. Der Rumpf beginnt heftig zu zittern, der Motor arbeitet mit merklicher Mühe. Fast ohne an Geschwindigkeit
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