Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
unverklemmter.
Von allen Ländern, die in der Weltpolitik Gewicht haben, durchpflügen nur zwei nach wie vor das Meer mit Unterseebooten und leben in ständiger Umzingelung ihrer transozeanischen Feinde. Offensichtlich überschreitet jedes Imperium früher oder später die Grenze, jenseits deren es vom autoritären Rost zerfressen wird wie die
Titanic
. Das scheint eine historische Gesetzmäßigkeit zu sein. Erstaunlich, wie sich das Bewusstsein der Menschen in Situationen, in denen alles erlaubt ist, ändern kann. In Tschetschenien habe ich das gesehen. Es gibt offensichtlich keine Kriege, in denen es anders wäre.
Es ist frappierend, wie Propaganda die Gehirne waschen kann.
Krieg und Trug
Der Krieg riecht immer gleich – nach Diesel, Staub und ein wenig Schwermut.
Schon am Stützpunkt in Mozdok beginnt dieser Geruch. Die ersten Sekunden, wenn du aus dem Flugzeug steigst, stehst du da wie betäubt, nur die Nasenflügel beben, wie bei einem Pferd. Du witterst Steppe … Das letzte Mal, im Jahr 2000 , war ich als Soldat hier. Genau unter dieser Pappel, wo jetzt die Sondereinsatzkräfte schlafen, habe ich auf eine Mitfluggelegenheit nach Moskau gewartet. An diesem kleinen Brunnen habe ich Wasser getrunken. Und dort in dem Heizraum, hinter dem «Bolschak», wurde Wodka aus lokaler Produktion verkauft, mit einem unglaublichen Fuselgehalt. Wie es aussieht, ist alles noch wie früher.
Der Geruch ist ebenfalls der gleiche. So wie er vor zwei, drei, sieben Jahren war. Diesel, Staub und Schwermut …
Wenig später bin ich Journalist und komme hierher zurück. Und ich erkenne Tschetschenien nicht wieder. Alles ist anders. Chankala, am Stadtrand von Grozny gelegen, hat sich unglaublich ausgebreitet. Das ist keine Militärbasis mehr, sondern eine Stadt, mit mehreren tausend, wenn nicht zigtausenden Einwohnern. Unzählige Einheiten, jede hinter ihrem eigenen Zaun, als Unkundiger kann man sich leicht verirren. Kantinen, Klubs, Toiletten und Saunen wurden gebaut. Säuberlich hat man schnurgerade Fußwege aus Betonplatten angelegt, alles ist gefegt, mit Sand gestreut, hier und dort hängen Plakate, und auf Schritt und Tritt begegnet man den Porträts des Präsidenten.
Es ist still wie in einer Kolchose. Die Soldaten laufen hier ohne Waffen herum, in aufrechtem Gang, nicht gebückt. Das haben sie sich abgewöhnt. Vielleicht haben sie auch nie einen Schuss gehört. Keine Anspannung in den Augen, keine Angst. Gewiss sind sie nicht einmal verlaust und haben auch keinen Hunger. Hier ist schon lange tiefste Etappe.
Überhaupt kann man sich nur die Augen reiben in Tschetschenien. Die Republik ist alles andere als ausgestorben, die verfallenen Lehmhütten sind durch neue dreistöckige Ziegelhäuser ersetzt worden, die von Wohlstand zeugen. Auf den Straßen fahren jetzt nicht nur Schützenpanzer, sondern auch Schigulis, und Reisebusse halten vor einem Café.
Am beeindruckendsten ist der Flughafen Sewernyj («Nord»). Hier ist die 46 . Brigade der Truppen des Innenministeriums stationiert. Eine gemütliche kleine Welt, vom Krieg durch eine Betonmauer abgegrenzt. Eine Armee, wie man sie sich erträumt. Das Ideal. Eindrucksvolle Ordnung. Geradlinige Asphaltwege, Grünanlagen, weiße Bordsteine. Die neuen einstöckigen Kasernen sind in einer Reihe gebaut, die Kantine nach westlichem Vorbild lässt ihr halbrundes geriffeltes Dach glänzen. So wie in den US -Militärbasen, die man im Kino sieht.
Auf dem Flugfeld eine Schießanlage. Vorschriftsmäßig werden während des Schießbetriebs rote Fähnlein gehisst – Achtung, nicht betreten! Wird nicht geschossen, flattern weiße Fähnchen im Wind.
Der neue Schießplatz ist gebaut worden, um zu lernen, wie die Altstadt, die keine zwei Schritte von hier entfernt ist, zerstört werden kann.
Abends gehen unter dem Laternenlicht die Offiziere auf den Fußwegen spazieren. Wirklich, hier gibt es Straßenlaternen. Und es gibt ein Offizierswohnheim. Nicht wenige Offiziere ziehen mit ihren Frauen her. «Meine Liebe, ich muss zum Dienst, reich mir bitte mein Bajonettmesser.» Und abends: «Liebster, hattest du einen guten Tag?» – «Ja, mein Schatz. Habe zwei getötet.» Manche haben Kinder. Auch sie wachsen hier auf.
Neben der Offizierskantine ein Hotel für hochrangige Gäste. Doppelfenster, Heißwasser, Dusche. Fernsehen mit fünf Kanälen. Ein Hotel bei Grozny. Es will einem nicht in den Kopf.
Bis zum Minutka-Platz ist es nur ein Steinwurf. Und auch zu dem kreuzförmigen Krankenhaus,
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