Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
das Blut auf seinen Lippen. Und sagte zu ihm: ‹Halt noch eine Weile aus, gleich lösen wir dich ab.› Da begann er wieder zu schießen, gab noch etwa vier Feuerstöße ab. Dann schleppte unser Arzt ihn nach hinten und begann unter dem Feuer, ihn zu verbinden.»
Die Kugel war unterhalb der Kehle eingedrungen. Sascha blieb noch eine Weile bei Bewusstsein, und Schabalin hatte sogar die Hoffnung, dass die Verwundung halb so schlimm wäre wie anfangs gedacht, alles würde gut ausgehen. Dann zupfte der Arzt Schabalin am Ärmel: «Ich kann das Blut nicht stillen, er hat eine innere Blutung.» Sascha wurde rasch ohnmächtig und starb bald darauf.
«Er war tot. Und es war Zeit für das Kommando ‹Vorbereiten zum Nahkampf›. Die ‹Tschechen› rückten immer näher. Hätten wir ein Fell im Nacken gehabt – es hätte zu Berge gestanden. Da war so ein Gefühl. Nicht einmal Angst, eher eine Art Wut. Gemischt mit Angst natürlich.»
Zum Nahkampf kam es nicht. Die Rebellen sammelten ihre Toten und Verwundeten ein und rückten ab. Verfolgt hat man sie nicht – es galt, den eigenen Verwundeten und den Leichnam des MG -Schützen Alexander Lajs zu evakuieren.
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Während ich diese Zeilen schreibe, ertappe mich bei dem Gedanken, dass ich ihn nicht Alexander nennen kann. Für mich ist er Saschka. Wir hätten uns ohne weiteres auf den Straßen Tschetscheniens begegnen können. Er hätte in einem der Schützenpanzer gefahren sein können, die der Journalistengruppe Deckung gaben, zu der ich hätte gehören können. Und wir hätten zusammen eine rauchen können, ich hätte ihn «Bruder» genannt und ihn bestimmt geduzt. Sie alle sind für mich Saschkas, Lechas, Andrjuchas …
***
Die Rebellen zogen rasch ab, wie auf Kommando. Der Kampf endete so unerwartet, wie er begonnen hatte. Auf dem Pfad lagen der verwundete, wie durch ein Wunder am Leben gebliebene Sagdejew und der gefallene Lajs, der gerade ein Wunder vollbracht hatte.
Die Kameraden, die damals in seiner Nähe waren und ihn schießen gesehen haben, sagten anschließend, es sei Lajs doch gelungen, den Scharfschützen zu töten, der ihn erschoss.
Später, nach dem Kampf, teilten die FSB -Leute mit, die Soldaten der Landetruppe hätten fünf Rebellen vernichtet. Jedenfalls seien am nächsten Morgen so viele frische Gräber in den umliegenden Dörfern aufgetaucht.
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Aus der Ehrungsurkunde:
«Für die vorbildliche Erfüllung der Soldatenpflicht, für Selbstaufgabe, außergewöhnliche Tapferkeit und Heldenmut, für die Verdienste um Staat und Volk, die er im Zuge einer Operation zur Terroristenbekämpfung im Nordkaukasus unter lebensgefährlichen Bedingungen unter Beweis gestellt hat, wird dem Schützen Alexander Wiktorowitsch Lajs der Titel eines Helden der Russischen Föderation zuerkannt.»
Heute zeigt Wladimir Schabalin bei der Erinnerung an die Ereignisse keine Erregung mehr. Nur seine Hände verraten ihn – er kann sie nicht ruhig halten, knetet in einem fort sein blaues Barett.
«Kann das eine verirrte Kugel gewesen sein? Nein. Er wusste doch, dass er nicht aufstehen durfte … Und überhaupt, dieses Gerede davon, hätte man dies, hätte man jenes. Natürlich hätte man das auch verhindern können. Das heißt, er hätte mich nicht decken müssen. Das war doch eine spontane Entscheidung. Da muss man in ihn hineinsehen, nicht in mich. Muss ganz einfach seine Tat beurteilen. Er stand auf und hat mich gedeckt. Fertig. Hätte er mich nicht gedeckt, wäre die Gruppe nicht verloren gewesen, da war noch der stellvertretende Kommandeur, und die Soldaten wussten, was sie zu tun hatten. Es war nicht so, dass man den Kommandeur vergöttern würde, hüten wie einen Schatz, die einzige Rettung. Das Ganze war ordentlich organisiert. Der Soldat hat einfach getan, was er getan hat. Ein guter Mann, bestimmt. Überhaupt diese Jungs – niemand von denen hat gekniffen. Kuzin hat sich bis zuletzt gewehrt, hat alle Granaten geworfen – er hatte sieben Stück –, er hätte sich ja auch verstecken oder gar ergeben können. Mein Funker, der Doktor, der stellvertretende Kommandeur – alle haben sie gekämpft. Und Lajs auch …»
Der Titel eines Helden der Russischen Föderation wurde Alexander Lajs posthum zuerkannt. Damit ließ der Staat es bewenden. Niemand aus der Administration des Präsidenten machte sich die Mühe, Alexanders Verwandte ausfindig zu machen und ihnen die Urkunde zu übergeben. Erst zwei Jahre später holten die Soldaten der Landetruppen
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