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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkadi Babtschenko
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all das tatsächlich durchgemacht hat. Dass er in einem Krieg war, wo ihm beinahe ein Bein abgerissen wurde, in einer Gefangenschaft, wo man ihm neunmal den Kopf abschneiden wollte, in einem Hospital, in dem er zwanzig Monate verbracht hat und das er mit einem um neun Zentimeter verkürzten Oberschenkel wieder verließ.
    Ein anderer Bekannter von mir, Pascha Andrejew, sagt, wenn man die Gegenwart von der Vergangenheit abzieht, bekommt man die Zukunft. Lecha hat die Vergangenheit von der Gegenwart abgezogen und damit die Zukunft erhalten. Allein. Er hat sie sich uneingeschränkt verdient. Die Last seiner Erinnerungen schleppt er nicht im Rucksack mit sich herum, er hat sie mit den Krücken im Krankenhaus von Reutow nahe Moskau gelassen. «Was dort war, ist dort geblieben. Leben muss man im Hier und Jetzt, in der Gegenwart.»
    Aber einzigartig an Lecha ist nicht nur das. Er ist der einzige Soldat, der während des Zweiten Tschetschenienkrieges unmittelbar bei dem Rebellenführer Schamil Bassajew in Gefangenschaft war.
    Zwei Wege, die nach Nowolakskoje führten, trafen sich in einer Kreuzung im Dorf, etwa zehn Meter vor den ersten Häusern. Platanen, Betonblocks, sonnenerhitzte verzinkte Dächer – alles, wie man es kennt.
    An dieser Kreuzung stand Lechas Flak, dahinter zwei Schützenpanzer. Dreizehn Soldaten.
    Der Streifzug hätte ihnen eigentlich erspart bleiben sollen. Ihre Einheit hätte schon ausgetauscht werden sollen, ihre Wohnung hatten sie den Jungs von der Brigade in Zelenokumsk übergeben. Sie selbst saßen auf der Panzerung und bereiteten sich auf die Verlagerung nach Bujnaksk vor. Sogar die Stiefel hatten sie auf Hochglanz gebracht – es sollte schließlich durch die Stadt gehen, da muss man sich schön machen. Aber irgendetwas in Nowolakskoje lief schief, Schüsse fielen. Ein erschöpfter Leutnant kam angerannt und sagte, man müsse da rasch hin, nachsehen, was passiert ist. «Genosse Leutnant, wozu jetzt noch Verluste, verdammt noch mal, das ist nicht mehr unsere Verantwortung, sollen die ihre Suppe selbst auslöffeln!» – «Schon gut, Jungs, Befehl ist Befehl. Wir fahren hin, nicht mal fünfzehn Minuten wird uns das kosten, sogar die Stiefel bleiben sauber.»
    So sind sie dann los.
    Den richtigen Krieg hatte Lecha noch nicht mitgemacht – geschossen, ja, ein bisschen, aber ernsthaft … das noch nicht. Obwohl, stimmt schon, einen Monat hatte er in den Gräben verbracht, und ehrlich gesagt hatte er es ziemlich satt. Die Schützengräben und diesen ganzen unbegreiflichen, undurchdachten Krieg. Irgendetwas hecken die da oben aus, dachte er, verlegen ständig Truppen, von einem Ort an den anderen. Haben doch gewusst, dass Krieg kommt, warum sind sie dann nicht vorbereitet?
    «Zwei Monate zuvor, im Juni 1999 , hat man uns auf einem Platz versammelt und uns gesagt: ‹So und so, Jungs. Bereitet euch auf Dagestan vor, der Zweite Tschetschenienkrieg wird erwartet.› Der Krieg hatte noch nicht begonnen, aber dort oben wusste man schon, dass er kommen würde. Mindestens zwei Monate vorher haben sie davon gewusst, denn so lange wurden wir darauf vorbereitet. Und am einundzwanzigsten Juli wurden wir zum Schutz des Staudamms in Kargalinskoje eingesetzt. Es hieß, er könnte gesprengt werden, und dann würden halb Dagestan und halb Tschetschenien unter Wasser stehen. Auf diesem Staudamm saßen wir dann und erwarteten den Angriff der Rebellen.»
    Diese fielen ohne jede Vorwarnung über sie her, praktisch aus nächster Nähe. Von einer Stelle aus, an der man sie nicht erwartete. Direkt an dieser kleinen Kreuzung. Als sie aus drei Richtungen und sämtlichen Rohren auf Lecha und seine Leute einballerten, hagelte es nur so Kugeln und Minen. Anfangs hatten sie noch die Hoffnung, sich aus eigener Kraft verteidigen zu können, und als ihnen endlich klarwurde, dass sie am Arsch waren – war es schon zu spät.
    Zuerst setzten die Gegner Lechas Flak in Brand, schossen auch sofort den Zugkommandeur an, eine Kugel durchschlug seine Hand, dann fiel Saschka Efimow, Lechas Ladeschütze. Eine «Schachtel» brannte schon am Randstreifen, neben den Rädern lagen zwei Gefallene, wie viele drinnen gerade verbrannten, weiß der Teufel. Die zweite war noch aktiv, aber nicht mehr lange, das war klar.
    Dabei hatten sie die Einheit noch erreicht. Aber nur um zu erfahren, dass es keine Einheit mehr gab – so reihenweise, wie die Technik gestanden hatte, stand sie jetzt reihenweise in Brand … Es gab kein Gerät mehr, um die

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